„Bessere haben wir nun mal nicht“

von Redaktion

Bundestrainerin Barbara Rittner über die Frauen-Bilanz in Melbourne und die DTB-Perspektive

Melbourne – Barbara Rittner, 45, hat ihren Vertrag als Head of Women’s Tennis und Bundestrainerin des Deutschen Tennis Bundes, kürzlich bis Ende 2021 verlängert. Bei den Australian Open in Melbourne sah sie als Eurosport-Expertin schon großartige Partien. Ihre Schützlinge waren dara njedoch nicht beteiligt.

Frau Rittner, zum Beginn der zweiten Turnierwoche verabschiedete sich Angelique Kerber, Julia Görges und Andrea Petkovic hatten zuvor schon verloren, andere waren nicht fürs Hauptfeld qualifiziert. Und bei den Juniorinnen ist keine deutsche Spielerin dabei. Wo steckt der Nachwuchs des DTB?

Das ist die Sorge, die mich am meisten umtreibt, die auch den Fokus meiner Arbeit bestimmt. Wir haben das sogenannte Porsche Team Deutschland, das ist das Fed Cup Team; dazu gehören die sechs, die hier im Hauptfeld waren, und noch ein paar mehr, die schon mal Fed Cup gespielt haben. Dann haben wir das Talent Team, und das ist ziemlich weggebrochen.

Das sah mal ganz vielversprechend aus, oder?

Wenn man das Team von vor drei Jahren nimmt, da waren wir gut aufgestellt mit Carina Witthöft auf dem Sprung in die ersten 50. Doch leider hat sie irgendwie den Fokus aufs Tennis verloren, um das mal so zu bezeichnen, hatte auch Verletzungen und ist zurückgefallen auf Platz 170. Dinah Pfizenmaier war dabei, die verletzungsbedingt aufhören musste, Annika Beck, die überspielt war und was anderes machen wollte und mit 24 aufgehört hat. Dann Anna-Lena Friedsam, die hier vor drei Jahren letzte 16 gespielt hat, Matchball gegen Agnieszka Radwanska hatte und sich dann verletzt hat; sie ist seitdem zweimal operiert worden, scheint jetzt wieder okay zu sein, ist Deutsche Meisterin geworden. Und Antonia Lottner, sie steht seit drei, vier Jahren unter den ersten 200. Sie hatte auch Verletzungsprobleme, es fehlte ihr aber auch ein bisschen die mentale Härte gegen sich selbst, und deshalb hat sie den Sprung nach vorn nicht geschafft.

Die Generation Kerber, Görges, Petkovic brauchte auch bis Mitte 20, um die Kurve zu kriegen …

Das stimmt. Deswegen will ich Spielerinnen wie Lottner, Witthöft oder Friedsam auf keinen Fall abschreiben; ich sehe nicht, dass der Zug abgefahren ist. Wir müssen nicht immer erwarten, dass die als Teenager oder mit 21, 22 durchstarten. Man muss ihnen Zeit geben. Das sind nicht so große Talente wie Kerber, Lisicki, Petkovic, die mit 19 unter den ersten 100 der Weltrangliste standen, wovon die aktuelle Generation weit entfernt ist. Aber Bessere haben wir nun mal nicht.

Vielleicht verkrampfen einige junge Spielerinnen angesichts der Förderung bei dem Gedanken: Oh, Gott – jetzt muss ich’s aber bald schaffen?

Das glaube ich ganz sicher. Weil die ja die ältere Generation vor Augen haben, die unheimlich viel erreicht hat. Auch ich muss bei den Lehrgängen die Ansprüche runter schrauben, wenn ich von den Grand-Slam-Turnieren komme, weil ich im ersten Moment denke, was spielen die denn da? Gleichzeitig versuche ich, denen den Druck zu nehmen und zu sagen, ihr habt Zeit. Wir halten an denen fest, solange wir sehen, sie geben alles und tun alles, um sich zu entwickeln. Und wenn es nicht so läuft, liegt es natürlich auch an uns zu sehen, wo es fehlt.

Und wie sieht es auf der Ebene darunter aus?

Darunter gibt es das Junior Team aus den Jahrgängen 2004 bis 2002. Das sind meiner Meinung nach sehr talentierte Mädchen mit hohem Potenzial. Genau dieses Team habe ich gegründet, um denen zu zeigen: Auf euch setzen wir. Das ist die Gruppe, mit denen wir – Bundestrainer Dirk Dier, Jasmin Wöhr und ich – ganz viele Lehrgänge machen, im Bundesstützpunkt Kamen und in Stuttgart. Zu dieser Gruppe gehören zwölf Mädchen, die wollen wir extrem pushen. Darauf können wir echt setzen, aber es entsteht auch eine Lücke. Ich kann nur hoffen, dass die jetzige Generation noch zwei bis vier Jahre spielt und nicht nächstes Jahr nach den Olympischen Spielen in Tokio sagt, danke, das war’s.

Macht man Dinge heute ganz anders mit den Jüngeren, vor allen Dingen bei der Ausbildung im mentalen Bereich?

Das intensivieren wir gerade. Ich habe zu den letzten Lehrgängen fünf verschiedene Mentaltrainer eingeladen, die alle was zum Thema Umgang mit Druck vorgetragen haben. Das ganze Projekt wird auch finanziell vom DOSB unterstützt, so dass wir den jungen Spielerinnen sagen können: Such dir in Ruhe jemanden aus, der zu dir passt. Das ist ja ein sehr sensibler Bereich, gerade bei jungen Mädchen. Die ein oder andere 14-Jährige denkt vielleicht: Ich kann das noch nicht, das ist mir noch fremd. Ich weiß genau, wie ich war; damals war das der Klempner oder der Psycho. Ich hab mit Mitte, Ende 20 damit begonnen, und das hat mir wahnsinnig geholfen, auch wenn es schwierig war.

Wie wichtig sind die Eltern in diesem Gebilde?

Ganz wichtig. Es sind ihre Kinder, sie haben das letzte Wort. Nichtsdestotrotz müssen Eltern aber einsehen – auch wenn sie das Beste für ihr Kind wollen –, wenn sie die falschen Entscheidungen treffen.

Muss man Eltern schulen?

Das glaube ich schon. Wir hatten ja gerade den DTB Kongress, und da haben wir ein ganz großes Eltern-Seminar gehabt. Da sieht man auch, dass die Eltern sehr interessiert waren und es viele Fragen gab. Ich kann ihnen nur sagen: Gebt uns eine Chance, vertraut uns.

Wenn man über den Zaun schaut zu den anderen Ländern, läuft da irgendwas grundsätzlich anders?

Generell ist der Ostblock klassisch konservativ. Die tun sich viel leichter, alles auf die Karte Tennis zu setzen. Die Möglichkeit, über Tennis ein anderes Leben zu leben, hat was Existenzielles. Aber dass die uns im Fördersystem voraus sind, das sehe ich nicht. Das sehe ich eher bei den Franzosen oder Engländern oder Amerikanern, die viel Geld zur Hand haben. Da hätte jetzt jede Spielerin des Porsche Junioren-Teams den eigenen Trainer, und das können wir nicht leisten. Wir müssen halt Gruppen bilden, aber wenn die durch die Gruppen kommen, reicht es auch, wenn sie dann mit 19, 20 ihren eigenen Coach haben. Das sehe ich nicht als Nachteil, aber vielleicht ist die Entwicklung ein bisschen langsamer.

Ein schwieriges Feld. Antreiben und gleichzeitig geduldig sein …

Ja, es ist alles sehr facettenreich, und deshalb ist es hilfreich, wenn Eltern und Trainer eine Sprache sprechen. Wenn das Kind zuhause diese Ruhe und Gelassenheit hat, weiterzuarbeiten. Wir haben Kinder, die kommen nach dem Halbfinale bei Deutschen Meisterschaften nach Hause, da ist der erste Satz: War wohl wieder nichts? Aber sie meinen es trotzdem gut, und es bringt nichts zu sagen, mit denen rede ich kein Wort. Man muss versuchen, sie mitzunehmen.

Interview: Doris Henkel

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