ZWISCHENTÖNE

Virtuelle Konkurrenz

von Redaktion

Dass Michael Zorc so etwas mal sagen müsste, hätte vor vier Jahren auch keiner gedacht. Da hatte Deutschland gerade die WM gewonnen, und alle schwärmten sie von der deutschen Talentförderung, von Nachwuchsleistungszentren, die unsere „Rumpelfüßler“ zu leichtfüßigen Gazellen, technisch und taktisch top ausgebildeten Ballstreichlern gemacht hatten. Und nun, ein WM-Debakel später, klagt Dortmunds Sportdirektor, momentan kämen auf ein interessantes deutsches Talent zwei interessante Franzosen, zwei Engländer und Spanier sowieso. Wie das?

Eigentlich wollten wir ja nicht wieder alles auf unsere laschen Kids schieben, die, wenn überhaupt, Sport nur noch virtuell ausüben. Der, wie es der Professor Zöpfl überspitzt ausdrückt, gerade mal „eines ruhenden Hinterns und eines sich stundenlang bewegenden Zeigefingers“ bedarf. Also eigentlich nichts, was unserer herkömmlichen (überkommenen?) Vorstellung von Bewegung entspricht. Sport, vor allem Fußball, hatte in unserer Kindheit mit Schweiß und Blut zu tun, mit aufgeschlagenen Knien, verzweifelten Müttern, weil schon wieder ein neues Paar Schuhe aufgearbeitet war. Und vor allem mit Spaß unter Freunden.

Später haben wir die Sache dann etwas professioneller betrieben, im Fußballverein, in Spielklassen, die der Verband organisierte. Und die Besten haben es dann irgendwann ganz nach oben geschafft, manche bis zum Profi. Das gibt es alles noch immer, doch ganz so sprudelnd ist die Quelle halt nicht mehr, die immer wieder absolute Toptalente nach oben gespült hat. Und dann passiert eben, was dem Michael Zorc nun ein bisschen Sorge macht. Nicht nur ihm.

Gut, dass sie beim Verband recht flexibel sind. Als wir noch grübelten, welche Folgen mittel- und langfristig das Ausbleiben von Talenten für den stolzen deutschen Fußball bedeuten könnte, erreichte uns eine Mail des Bayerischen Fußball-Verbands, der sich rühmt, als erster Landesverband seine eigene eFootball-Plattform an den Start gebracht zu haben. Dort wirbt man nun um Teilnehmer am „BFV eSports Cup 2019“, bereits ab Montag soll „der Ball bei FIFA 19 auf der Playstation 4“ rollen (wirklich, sie schreiben „rollen“). Von der „enormen Schlagzahl“, die der Verband mit seinem Partner dem Thema widmet, schwärmt der Präsident Rainer Koch, der sich schon „auf viele weitere spannende Projekte“ freut.

Wir dagegen fragen ein bisschen frustriert, ob denn nun sogar die Sportverbände den echten Fußball aufgeben haben und lieber dem Zeitgeist hinterherhecheln wollen. Statt die Kids vom Bildschirm weg zurück in die wirkliche Welt zu locken, mit einem Spiel, das noch immer Milliarden Menschen fasziniert, folgt man ihnen in die virtuellen Räume und versucht, das Spiel am Computer für Kinder und Jugendliche noch spannender und attraktiver zu machen. Der Präsident Koch spricht von einer „Wechselwirkung“, weil ja viele aktive Spieler nach dem Training an der Playstation zocken. Wenn er aber die Hoffnung äußert, mit tollen eSports-Events bei den virtuellen Kids eine solche Leidenschaft fürs Kicken zu wecken, dass sie dann zum „richtigen“ Fußball zurück in die Vereine strömen, dann klingt das, pardon, schon ein wenig blauäugig. Realistischer dürfte sein, dass der Verband eSportlern eine Heimat bieten will, um damit Zuwachsraten zu generieren.

Das könnte zwar den Mitgliederschwund bremsen, nicht aber das Problem lösen, dass deutsche Toptalente im internationalen Vergleich weniger werden. Uns bleibt dann immerhin noch die Hoffnung, dass Deutschland vielleicht bald wieder Weltmeister wird. In der boomenden Zukunftssparte eSports, powered by BFV.

Von Reinhard Hübner

Fußballverbände entdecken den eSport für sich. Das hat mit Zeitgeist zu tun, aber nicht mit Weitblick.

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