Dem Vierten Offiziellen reichte es. Er zückte die Rote Karte. Also sinnbildlich.
Der Mann, der sich „Der Vierte Offizielle“ nennt, ist im Hauptberuf IT-Berater, Fußball ist seine Passion, über die er sich gerne äußert. Axel Goldmann aus der Nähe von Köln zählt zum Team des Podcasts Drei90, und er schreibt einen Blog – Titel: „Der Vierte Offizielle.“
Vor drei Wochen schrieb er: „Aus. Vorbei. Sky.“ Er hatte sein Abonnement des Pay-TV-Senders „nach 24 Jahren, in denen ich nie illoyal war“, wie er sagt, gekündigt. Er ließ die virtuelle Welt an seinem Abschiednehmen teilhaben. „Sky hat sich selbst überlebt und ist nicht mehr vermittelbar. . . Ich will es ihnen ins Gesicht brüllen und sie dabei an den Haaren ziehen. Ich will sie an einen Stuhl fesseln und sie zwingen, sich 24 Stunden eine Konferenz mit Dahl- und Buschmann anzuschauen. So ,Clockwork Orange’-mäßig. Ohne Alkohol, ohne Chance auf Linderung. . . Ich will tollwütig werden und mit Schaum vor dem Mund die Zentrale stürmen, aber ich bin mir dessen bewusst, ihr müsst nicht die Polizei rufen, das geht nun mal nicht. Und deswegen schreibe ich es eben auf.“ In seiner folgenden Ausführung („Meine Kritik ist dreisäulig“) nennt er Sky Deutschland immerhin noch „Darling“.
In den folgenden Tagen sammelten sich die Kommentare unter dem Beitrag von Axel Goldmann. „95 Prozent zustimmend“, sagt er. Es wurde reichlich Kummer abgeladen: über technische Probleme, die Werbung, die Experten. Und überhaupt hat sich in den sozialen Medien ein Stimmungsbild ergeben: contra Sky. „Lösch dich, Sky“, schrieb einer auf Twitter, weil in der Halbzeitpause des Spiels FC Bayern – Fortuna Düsseldorf nicht Experten zu Wort kamen, sondern die Hauptdarsteller der neuen Sky-Serie „Das Boot“.
Gespräch über die Situation, über Kundenzufrieden- und Unzufriedenheit in der Sky-Zentrale in München-Unterföhring, mit Jacques Raynaud, einem Mann, der einen langen Titel trägt: Executive Vice President Sports & Advertising. „Ich bin Jacques“, sagt er. Er ist Franzose, war 13 Jahre bei Eurosport, neun bei Sky Italia, er spricht tadelloses Deutsch, und wenn er den Verbreitungsraum von Sky Deutschland definiert, sagt er: „Von Flensburg bis zu den Alpen, vom Saarland zum Erzgebirge.“ Er lächelt: Große Familie, irgendwo ist immer ein Raynaud.
Jacques Raynaud sagt: „Wir haben eine Social-Listening-Strategie.“ Es gibt im Haus eine „Monitoring Unit“, Leute, die verfolgen, was sich auf den diversen Kanälen tut, auf Facebook, Twitter, Instagram oder auch in der -Community „Sky and Friends“, einem Forum, in dem die Kunden sich artikulieren können. Und wenn da zu einem Thema viele Beiträge einlaufen, dann gelangt die Sache mitunter auch mal zum Vizepräsidenten Raynaud.
Er sagt jedoch ebenso: „Die sozialen Medien sind eine Plattform, auf der jeder seie Meinung kundtun oder auch einfach nur seinem Ärger Luft machen kann.“ Und man möge bitte schon auch die Relationen sehen: 200 Posts oder 2000 Follower sind eine verschwindende Größe neben den Kennzahlen von Sky. 5,2 Millionen Kunden. „Wir sind der Sender Nummer eins am Samstagnachmittag.“ Wenn die Fußball-Bundesliga läuft.
Sky bekommt zu spüren, dass die Kommentare in den sozialen Medien sich zugespitzt haben. Raynaud gibt auch zu: „Wir können natürlich nicht behaupten, dass Sky Go am ersten Spieltag der Champions League einwandfrei gelaufen wäre oder wir nicht Vollbildwerbung während eines Spiels geschaltet hätten.“
Das war einer der jüngsten Erregungsfälle. Zweite Halbzeit bei Dortmund – FC Bayern. Plötzlich war da statt des Bildes vom Spiel Werbung. Mittendrin. 30 Sekunden lang. Keine Absicht, eine Panne, versichert Jacques Raynaud. „Dafür haben wir uns entschuldigt.“ Er findet: „Insgesamt laufen unsere Services stabil.“
Mit Werbeformen während des Spiels ist es bei Sky so: Die Regie wartet Phasen ab, in denen der Ball ruht. Klassischer Fall: Auswechslung eines Spielers oder eine Verletzungsbehandlung. Die Größe es Live-Bilds wird für einige Sekunden reduziert, am Rand erscheint dann das Werbebanner.
Als es mit dem Pay-TV in Deutschland in den 90er-Jahren begann (unter dem Namen Premiere), war ein Versprechen das der werbefreien Übertragung. Das gehörte zum Premiumanspruch des damals von Leo Kirch betriebenen Senders. Dieser Grundsatz ist längst aufgehoben. „Werbung ist in Europa im Pay-TV seit Jahren Standard, trotzdem ist es nicht mit dem kommerziellen Free-TV vergleichbar“, sagt Raynaud. Geht auch nicht mehr anders: Die Preise für die Übertragungsrechte sind nach oben geschnellt.
Jacques Raynaud hat in seinem Büro eine Wand voller Monitore, er kann bis zu acht Programme gleichzeitig abrufen, zehn Fernbedienungen liegen davor, manchmal muss er die passende erst suchen, wenn er etwas vorführen will. Die neue Sky Go App ist zuletzt auch kritisiert worden. Leute, die am Samstagnachmittag ein Spiel live ansehen und danach ein, zwei, die parallel gelaufen waren, im Re-Live in voller Länge nachholen wollen, können das nicht mehr auf Abruf, sondern müssen auf die Wiederholungen warten. „Das wird wieder kommen“, verspricht Raynaud, „es ist im Zuge allgemeiner Verbesserungen an Sky Go vorübergehend nicht möglich,“ Es wird wohl sein wie bei einer App, die man sich aufs Smartphone lädt. Es gibt Updates, Verbesserungen.“ 1.0, 2.0, 3.0..
Dem kritischen Vierten Offiziellen geht es wie manch anderem allerdings vor allem um die Inhalte. Um das, was sie zu sehen und zu hören bekommen. Es sind altersbedingt einige Mitarbeiter ausgeschieden, die Sky prägten: Marcel Reif und Fritz von Thurn und Taxis, die großen Kommentatoren, die schon eine Biografie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehabt haben. Oder Rollo Fuhrmann, der Field-Reporter, der 2001 Schalke vorzeitig zum Meister erklärt hatte – man liebte ihn trotzdem (oder genau deswegen).
Sky wird nun öfter verglichen, weil es nicht mehr das Monopol, sondern Konkurrenten hat: den Streamingdienst DAZN oder Eurosport mit dem Freitagabendspiel. Im „Aus. Vorbei. Sky“-Beitrag schreibt Axel Goldmann, die neuen Player auf dem Fußballmedienmarkt würden abgefeiert, „weil sie den Sport in den Mittelpunkt stellen. Matthias Sammer (Eurosport-Experte, d. Red.) ist zwar ein Erklärbär, aber wenn man sich auf ihn einlässt, ist der Erkenntnisgewinn enorm. Bei dir“, richtet er sich an Sky, „sitzt (Reiner, d. Red.) Calmund in einem Sessel und quasselt was von kleinen Koreanern, die normalerweise keine Kopfballtore machen.“
Aber so ist das wohl im Fernsehen: An ein breites Publikum muss man anders herangehen als an das in der Nische. Jacques Raynaud kennt aus seiner Zeit bei Eurosport, wo man immer noch mit Hochachtung von ihm spricht, auch diese Seite. Und für ihn ist klar: „Wo weniger Zuschauer erreicht werden, kann man eher experimentieren. Wir wollen einem Millionenpublikum das beste Fernsehergebnis bieten.“
Sky, erzählt er, gebe regelmäßig Marktforschung in Auftrag, wie das Programm draußen ankommt, welche Kommentatoren geschätzt werden, welche Kombinationen. Etwa: Sebastian Hellmann mit Lothar Matthäus, Michael Leopold mit Didi Hamann, Esther Sedlacek oder Britta Hofmann mit Reiner Calmund oder Christoph Metzelder. Und das Personal an den Mikrofonen: „Wir erlauben Stilvielfalt“, sagt Raynaud. Sky will die Emotionalen haben genauso wie die Nüchternen. Weil man ein weites Feld zu bestellen hat: Flensburg bis Alpen, Saarland bis Erzgebirge.
„Pay-TV“, sagt .Raynaud noch, „bedeutet, dass jeder Kunde an jedem Tag kündigen oder sein Abo verlängern kann. Wir müssen mit exklusiven Inhalten und unserem Service überzeugen.“ Sky ist natürlich mittendrin in diesem Geschäft von Kündigungen, Neuabschlüssen, Rückholangeboten.
Der Blogger Axel Goldmann hat sich entschieden, dass sich „aus meiner Sicht Sky in die falsche Richtung entwickelt und es nach 24 Jahren halt mal gut sein muss“. Er wolle kein Fass aufmachen. Sein Schreiben sei ja auch „meine Selbsttherapie“.