Ex-Torhüterin Flemming: Aufstieg zur Freestyle-Hoffnung

von Redaktion

Quereinsteigerin aus Röhrmoos löst Ticket für Snowboard-WM

München – Bestimmt hätte sie jetzt auch bei der SpVgg Röhrmoos-Großinzemoos Spaß, die im Fußball-Kreis Oberbayern auf Platz zwei überwintert. Oder bei den Tennis-Damen des SV Haimhausen 1928. Oder in der Tennismannschaft des Sport-Club Vierkirchen. Bei all diesen Vereinen galt Nadja Flemming als talentierte Ballsportlerin. Jedoch: Das Schicksal hatte etwas anderes mit ihr vor und schickte sie voriges Wochenende nach Peking, wo sie sich im berühmten Vogelnest-Stadion von einem Monstrum aus Stahl stürzte, um auf hartem Kunstschnee zu landen. Das machte sie so gut, dass sie gleich zu Beginn des Winters ihr Ticket für die anstehende Snowboard-WM löste. Aber der Reihe nach.

Dass Nadja Flemming, 22, in der WM-Saison 2018/19 als größte deutsche Snowboard-Hoffnung im Bereich Freestyle gilt, war vor sieben Jahren nicht im Entferntesten abzusehen. Schon gar nicht, dass sie als Spätstarterin so schnell in die erweiterte Weltspitze vorstoßen würde. Flemming, die in acht Tagen 23 Jahre alt wird, staunt selber, wie das alles gekommen ist. „Keiner in meiner Familie fährt Snowboard“, berichtet sie: „Ich selber hab auch ziemlich spät damit angefangen und erst mit 15, 16 das erste Board bekommen.“ Als sie das erste Mal einen Fuß in einen dieser Funparks setzte, war sie bereits volljährig und eigentlich zum Spaß unterwegs. Sie sagt: „Ich hab Mega-Glück, dass das als Quereinsteiger so funktioniert hat.“

Glück auch deshalb, weil Flemming in einem Alter, in dem andere bereits Weltcups fahren, nicht mehr wirklich frei war. Sie hatte die Realschule beendet und eine Ausbildung zur Verfahrensmechanikerin angefangen. Sie verbrachte die Woche damit, Flugzeugteile aus Fiberglas herzustellen. Das jedoch genügte ihr nicht. Tief in ihrem Inneren sehnte sie sich nach den Bergen, nach Natur und Freiheit, die sie schließlich für 790 Euro erwarb. So viel kostet die Tirol-Snowcard, die sie kaufte, um zumindest die Wochenenden im Schnee zu verbringen. Flemmings Eintrittskarte in die weite, aufregende Welt des professionellen Freestyle-Snowboardens.

Flemmings Glück war, dass da ein paar Snowboard-Freaks in ihrem Freundeskreis waren, die unentgeltlich als Lehrmeister fungierten. „Wenn man mit Jungs fährt, die ein bisschen besser sind, kann man sich gut pushen“, sagt sie: „Da wird man dann selber auch besser.“ So gut, dass sich ihre Work-Life-Balance zunehmend in Richtung Wintersport verschob. Sie kaufte sich einen VW-Bus, um kostengünstig vor den Skigebieten zu campieren – und wurde erstaunlich bald für ihren Eifer belohnt.

Thilo von Osterhausen wurde auf das aufstrebende Slopestyle-Ass aufmerksam, ein TU-Student (heute 28), der inzwischen Surfbretter vertreibt, zwischen 2014 und 2016 aber als Trainer der Snowboard-Nationalmannschaft fungierte. „Erst hieß es, ich sei zu alt. Aber irgendwann ging’s dann doch“, berichtet Flemming. Ihr Talent wurde erkannt, sie erhielt professionelle Unterstützung, durfte bei Europacups starten und sich für den Perspektivkader empfehlen. Olympia 2018 verpasste sie haarscharf und auch nur, weil der letzte Quali-Weltcup abgesagt wurde. Das WM-Ticket für 2019 hat sie dafür umso eiliger gebucht. Den Air+Style Peking schloss sie wie im Vorjahr auf Platz 13 ab, beim Weltcup-Auftakt in Modena war sie gar Zehnte. Nicht schlecht für eine Quereinsteigerin, die ihre Karriere „in kompletter Eigenregie“ gestartet hat.

Nach Park City, zur WM im Februar, reist sie als neue Freestyle-Hoffnung, als Erbin von Slopestyle-Pionierin Silvia Mittermüller, 35. Andi Scheid, Cheftrainer bei Snowboard Germany, sagt: „Die Motivation bei ihr kommt schon sehr von innen raus. Mit so einem Ehrgeiz ist vieles möglich.“ Im Ehrenbuch ihrer Gemeinde steht sie bereits – und auch die Fußballfrauen von Großinzemoos dürften stolz auf ihre frühere Torhüterin sein. ULI KELLNER

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