„Die Playstation hat mich nie interessiert“

von Redaktion

Natalie Geisenberger, was motiviert eine vielbeschäftigte Sportlerin, sich zusätzlich das Amt einer fit4future-Botschafterin für Bayern aufzubürden?

Für mich ist das keine Bürde, ich finde es eminent wichtig, die Kids schon in frühester Kindheit für Bewegung und Sport zu begeistern, ihnen spielerisch beizubringen, auf ihren Körper zu achten, rauszugehen, zu klettern, Fußball lieber live zu spielen, statt die Kindheit an der Playstation zu verbringen. Bei uns war jeden Tag Action, ich habe das genossen, gebraucht und davon viel profitiert. Nun will ich meinen Teil dazu beitragen, dass Bewegung auch für die nachwachsende Generation zur Normalität wird. Deshalb überzeugt mich das Projekt fit4future, das Bewegung in die Schulen bringt.

Sehen Sie in der Nutzung von Smartphone und Computer Gefahren für die Jugend?

Ja, denn immer mehr Spielmöglichkeiten laufen virtuell, das ist für Kinder natürlich bequemer als rauszugehen und mit anderen zu spielen. Das aber sollte nicht der kindliche Alltag werden, soziale Kontakte gehen verloren, es bringt nichts fürs Leben. Ich lege größten Wert auf echte Bewegung. Natürlich kann jedes Kind auch mal einen gemütlichen Tag machen und ein bisschen TV schauen oder mit dem Handy spielen. Aber das sollte eher die Ausnahme sein.

Um Freude an Sport und Bewegung zu vermitteln, sind neben den Eltern vor allem Schulen in der Pflicht. Nicht alle werden diesem Anspruch gerecht. Pestalozzi forderte einst die tägliche Sportstunde.

Eine tägliche Sportstunde wäre sicher die Idealvorstellung, funktioniert aber wohl in unserem Schulsystem nicht. Schulsport sollte aber genauso wichtig genommen werden wie Französisch, Mathe oder Kunst, die Sportstunden dürfen nicht einfach ausfallen, Sport, richtig vermittelt, hilft Kindern auch, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Wie sind Ihre Erinnerungen an den Schulsport, war er motivierend?

Motivieren musste man mich nicht, ich war immer draußen, bin Ski gefahren, geschwommen, geklettert, habe mit anderen gespielt, für mich war das ganz normal. Fernsehen und Playstation haben mich nicht wirklich interessiert. Wir hatten aber auch an der Schule ein paar Lehrer, die super motivieren konnten, für jeden das Richtige gefunden haben, um jedem, egal wie sportlich er war, Erfolgserlebnisse zu vermitteln.

Zum Rodeln sind Sie ja auch über die Schule gekommen, Gerd Schabbehard hat damals eine Rodel-Neigungsgruppe in Miesbach gegründet.

Ohne Gerd Schabbehard wäre ich nie Rodlerin geworden. Er ist im Winter mit uns zum Königssee zum Rodeltraining gefahren und hat auch im Sommer ein tolles Training mit uns gemacht, Übungen, die viel Mut erforderten, uns an Grenzen brachten und uns wahnsinnig stolz machten, wenn wir sie geschafft hatten. So etwas prägt fürs Leben. Wir hatten eine prima Stimmung in der Gruppe und immer Abwechslung, es wurde nie langweilig.

Haben Sie damals gedacht, dass Sie mal so erfolgreich werden könnten?

Leistung stand da lange Zeit nicht so im Mittelpunkt, obwohl der Aufwand schon riesig war, von Miesbach zum Königssee sind es ja doch gut 120 Kilometer einfach. Als ich dann immer besser wurde, wurde ab dem Juniorenalter das Rodeln zum Leistungssport für mich. Ich hatte Träume und Ziele, die ich mit aller Kraft verfolgt habe. In der 11. Klasse habe ich mich dann entschieden, bei der Bundespolizei eine Ausbildung zu beginnen, um mich noch intensiver dem Rodeln widmen zu können und mich gleichzeitig beruflich abzusichern. Das Angebot der „dualen Karriere“ fand ich ziemlich perfekt.

Wie war die Rolle Ihrer Eltern, wurden Sie gedrängt, immer mehr zu trainieren?

Nein, überhaupt nicht. Ich selbst wollte das machen, dafür habe ich die Unterstützung der Eltern gebraucht und bekommen. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Vor allem mein Vater hat wahnsinnig viel für mich getan und Zeit und Geld investiert. Er ist mittlerweile mein Manager und hilft mir oft mit dem Training. Meine sportliche Karriere ist also irgendwie ein erfolgreiches „Familienprojekt“ geworden.

Wie wichtig ist die Unterstützung der Familie für einen jungen Sportler?

Meine Eltern gaben mir die Möglichkeit, einige Sportarten auszuprobieren, ehe ich mit neun, zehn mit dem Rodeln meinen Sport gefunden hatte. Diese Vielfalt hat mich extrem weitergebracht. Ski, Triathlon, Klettern, das alles kann ich heute noch super für mein Training nutzen. Natürlich haben nicht alle Familien solche Möglichkeiten, aber besser ist, sie bieten dem Kind eine Sportart an als gar keine. Wobei mir wichtig ist zu betonen, dass es definitiv nicht bei jedem Kind Leistungssport sein soll. In meinen Augen ist es nur wichtig, die Möglichkeit zu bekommen, sich zu bewegen.

Wer so erfolgreich werden will wie Sie, muss viel Zeit investieren. Haben Sie den Eindruck, etwas verpasst zu haben in Ihrer Jugend?

Ich hatte sicher keine Standard-Kindheit und nicht alles war nur toll. Ich war sehr viel unterwegs, in Hotels, im Auto und im Flugzeug, habe dafür aber auch viel gelernt, viele interessante Menschen getroffen, viel ausprobieren und erleben können und ich musste sehr früh selbstständig sein, Verantwortung übernehmen. Wer war schon mit 14 ohne Eltern in Kanada? Ich jedenfalls würde alles nochmal so machen.

Auch wenn es nicht für ganz oben gereicht hätte?

Auch dann, es muss nicht immer der Sieg, der Erfolg sein. Bestimmt wäre ich auch stolz auf das, was ich erreicht habe, wenn ich nicht Olympiasiegerin wäre. Es gab viele Situationen, die einen prägen.

Dafür muss man aber auf vieles verzichten können.

Klar, manchmal wünsche ich mir schon, ganz normal zu leben, mit Freunden zu feiern, bei Geburtstagen dabei zu sein, Weihnachten ohne Jetlag genießen zu können. Es gibt schon solche Momente.

Nimmt der Druck manchmal den Spaß?

Wenn ich früher Druck hatte, habe ich mir den meist selbst gemacht. Heute kommt natürlich einiges von außen, durch Öffentlichkeit und Medien, der Anspruch an uns ist durch unsere Erfolge sehr hoch, man darf sich kaum Fehler erlauben.

Wie Felix Loch bei Olympia in Pyeongchang? Der große Favorit „nur“ Fünfter. . .

Ähnliches habe ich auch schon erlebt, bei der WM 2017 hat es einfach nicht gepasst. Das muss ein Sportler verkraften, es läuft nicht immer. Wir sind auch nur Menschen, keine Maschinen. Da passieren einfach Fehler. Leider halt auch mal bei wichtigen Rennen.

Was raten Sie Kindern, sollen sie sich die höchsten Ziele setzen?

Wer davon träumt, weit zu kommen, sollte sich immer wieder sagen, ich will das schaffen. Dafür muss man aber auch bereit sein, vieles anderes zurückzustellen, und wichtig ist, dass einem das, was man tut, stets Spaß macht. Nicht immer nur die Leistung in den Vordergrund stellen, Spaß ist der beste Motivator. Und die Ziele sollten erreichbar sein. Also kleine Schritte, kleine Träume. Wenn ein Schritt geschafft ist, kann man versuchen, den nächsten zu gehen.

Mehr tun als andere, das ist die Erfolgsformel vieler erfolgreicher Sportler. Müssen Spitzensportler so etwas wie ein Erfolgsgen haben?

Ich weiß nicht, ob es ein „Erfolgsgen“ gibt. Mein Ziel ist es immer, dass ich morgen besser bin als heute. Und dementsprechend muss ich heute härter als gestern an mir arbeiten, immer wieder kleine Fortschritte machen. Und mich immer wieder selbst überwinden und an meine eigenen Grenzen gehen. Aber in meinen Augen gehört zu einem erfolgreichen Sportler noch weit mehr. Es muss das ganze Puzzle perfekt zusammenpassen. Also neben Fleiß, Durchhaltevermögen, Willen und Nervenstärke auch Talent, die Unterstützung der Familie und Freunde, die Trainer, Ärzte, Mechaniker, die Kollegen und dann am Tag X vielleicht noch ein kleines Quäntchen Glück.

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