Tore mit therapeutischem Wert

von Redaktion

Die Champions League ist für den FC Bayern momentan nur Mittel zum Zweck

VON MARC BEYER

München – Niko Kovac wurde von klackernden Kameras begrüßt, als er den Raum betrat. Er war glatt rasiert, trug ein Lächeln im Gesicht und wirkte gut vorbereitet auf diese Pressekonferenz. Er griff sich eine Wasserkaraffe, schenkte großzügig ein und brummte ein „Zum Wohl“ ins Publikum. Dann kam die erste Frage: Was ihn optimistisch stimme, dass er am Ende dieser Woche noch Trainer des FC Bayern sei.

Kovac hat sich achtbar geschlagen bei diesem Auftritt vor dem Champions League-Spiel gegen AEK Athen, wie ein Mann, den Herausforderungen nicht einschüchtern und der dabei nicht seinen Optimismus verliert. Aber in diesen Novembertagen, die in München nur meteorologisch angenehm sind, wird er immer wieder mit Realitäten konfrontiert, die er aus seiner Spielerzeit beim FC Bayern kennt und die sich seitdem kaum geändert haben.

Und so kann der Trainer nahezu täglich den Zeitungen entnehmen, wie es um das Klima im Team bestellt sein soll oder welche Spieler ihn argwöhnisch beobachten. Vorausgesetzt, er studiert überhaupt die Medien, was er in kritischen Zeiten nach eigener Auskunft ja nicht tut. Letztlich läuft es auch in diesem Verein darauf hinaus, dass jeder, der nicht erste Wahl ist, einen Grund zum Hadern hat und dankbar Gehör findet. „So langsam“, sagt Kovac, „ist der Lolli ausgelutscht.“

Heute Abend spielen die Bayern gegen Athen, auf einer Bühne, die für das Selbstverständnis des Clubs eigentlich die entscheidende ist. Aber die Champions League spielt gerade nur eine überschaubare Rolle, selbst wenn Niko Kovac beteuert, die Partie hätte sehr wohl einen enormen Wert: „Wir können morgen schon durch sein.“ Ein Sieg über AEK wäre fast gleichbedeutend mit dem Einzug ins Achtelfinale. Nur kann man damit allein in München noch lange nicht punkten.

Die Königsklasse ist in diesen Tagen allenfalls Mittel zum Zweck. Ein überzeugender Auftritt würde den notorisch unruhigen Bayern ein bisschen Entspannung bringen, wirklich nur ein bisschen. Und vielleicht auch noch ein paar Erfolgserlebnisse und Automatismen, die sie so dringend benötigen. „Wir brauchen ein Spiel, das wir mit drei, vier Toren Unterschied gewinnen“, sagt Kovac. In einer Phase, wo man sich gerade alles „hart, hart erarbeiten muss“, wäre so ein Resultat vielleicht ein Impuls. Hofft er. Denn auch wenn er das Thema auszublenden versucht, schaut selbstverständlich jeder bereits auf den Samstag und die Partie in Dortmund, wo der Einsatz ein ganz anderer sein wird als gegen die Griechen.

Für die Bayern geht es heute Abend um drei, vier Tore und das Achtelfinale, vor allem aber darum, wieder etwas mehr Balance zu finden. So ratlos wie aktuell hat man sie seit Ewigkeiten nicht gesehen. Andernorts greift man in solchen Fällen auf die Hilfe von Psychologen oder Mentaltrainern zurück. „Wir beim FC Bayern haben so etwas momentan nicht“, weiß Kovac. „Wir hatten es zuletzt vielleicht auch nicht nötig.“ Er selbst versucht, „mit positivem Auftreten“ die Spieler zu erreichen und sie „nicht in den Keller zu reden“. Ein Kantersieg zum Beispiel wäre therapeutisch echt wertvoll.

Es sind ganz einfache Weisheiten, mit denen die Bayern gerade hantieren. Joshua Kimmich nimmt ohne Scheu das Wort „Krise“ in den Mund, zu deren Bekämpfung man nicht nur mehr eigene Chancen herausspielen und weniger gegnerische zulassen solle. Er fordert auch, „dass wir mit Eiern ins Spiel gehen“.

Fünf Prozent mehr, kalkuliert Niko Kovac, müsse jeder Einzelne nur investieren, dann sei der ganzen Mannschaft geholfen. Umgekehrt gesagt: „In der Geschichte gibt es genug Beispiele, ob bei den Trojanern oder bei Cäsar“, wo der ärgste Feind in den eigenen Reihen lauerte. Sein Fazit: „Wir müssen zusammenhalten.“ Schließlich geht es für alle um viel. Für das rote Imperium und für ihn ganz persönlich.

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