Amsterdam – Am Ende schenkte Thomas Müller den Journalisten ein Wort, das auch Johann Cruyff sicher gefallen hätte, was ja nur angemessen war, denn Müller saß am Freitagabend auf dem Podium in der Amsterdam Arena, die seit Juli den Namen des niederländischen Fußballphilosophen trägt. Wenn er auf dem Platz stehe, habe er „für die Denkzone viel zu wenig Zeit“, sagte Müller. Denkzone, ein Wort, man sollte es einrahmen, wenn das denn ginge.
In den Niederlanden denken sie seit jeher viel über den Fußball nach, Cruyff forcierte das und hörte bis zu seinem Tod vor zwei Jahren nicht auf. Auch die Deutschen haben ja den Ruf, teilweise zu verkopft zu sein, und so steht das Duell zwischen Oranje und der DFB-Auswahl am heutigen Samstag (20.45 Uhr/ZDF) auch unter einem besonderen Licht: Beide Nationen zählen zu den großen in Fußball-Europa, doch die Gastgeber haben eine schwere Krise hinter sich – und die Gäste stecken in einer. Müller schleppt in die Partie eine doppelte Hypothek, denn bei seinen Bayern ist auch so nachhaltig der Wurm drin, dass sein Coach Niko Kovac zuhause beim Besuch eines Basketballspiels Pfiffe über sich ergehen lassen musste. Natürlich sei das alles Tischgespräch in der Mannschaft, sagte der Offensivmann. Aber auf dem Platz haben die Gedanken Sendepause. Fußball jenseits der Denkzone, das ist das Ziel in der zweiten Partie der Nations League. „Wir wollen den Spielwitz, den wir im Training gezeigt haben, auf den Platz bringen.“
Joachim Löw war verschnupft, er musste sich beim Frage-Antwort-Spiel immer wieder nach vorne lehnen, um die Journalisten besser zu verstehen, und wenn er referierte, näselte er ziemlich. Aber auch er ließ keine Schwächezugeständnisse zu, weder seine Person betreffend noch hinsichtlich seiner Münchner Abteilung. Müller werde auflaufen, auch Joshua Kimmich erhielt auf der „6“ eine Startgarantie, dazu werde er auf seinen Kern setzen, sagte der Bundestrainer: „Die Achse ist wichtig, ich vertraue diesen Spielern.“
Löw trug einen Trainingspulli mit der Nummer 18 auf dem Rücken, was zunächst mal eigenartige Bezüge heraufbeschwor, denn sein Vorgänger Jürgen Klinsmann hatte diese Zahl im DFB-Team etabliert. Doch bei Löw bezieht sie sich auf das Jahr 2018, auf eine Fokussierung aufs Hier und Jetzt, und auch am Freitag wurde wieder einmal ersichtlich, dass der 58-Jährige selbst nach den Erfahrungen der WM in sich ruht. Auf die Kritik von Michael Ballack ging er gar nicht ein („jeder kann seine Meinung sagen, interessiert mich wirklich nicht“), über die negativen Schlagzeilen der letzten Woche sagte er, er habe die Überschriften gelesen, aber nicht die Texte. Er habe gerade genug zu tun, „es hat mich diese Woche nicht interessiert und wird es auch nächste Woche nicht“.
Die Scheuklappen legte er nur ab, als er mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, er habe unter der Woche zu lasch trainiert, wie aus der Mannschaft lanciert wurde. „Zu lasch kann man nicht sagen“, fand er, und auch Müller meinte, die Intensität wäre hoch gewesen. „Ich habe keinen mit Extraschichten im Kraftraum gesehen, und ich würde gerne wissen, welche Spieler so etwas sagen.“ Hier liegt tatsächlich die Krux: Wenn Interna nach draußen dringen, hat die Kabine ein Problem – und der Trainer auch. Es helfen nur Siege, das ist die ewige Wahrheit des Fußballs, und verschärfend wirkt sich da das neue Format der Nations League aus. Löw hielt auch am Freitag an der Einschätzung fest, dass es ein interessanter Modus sei mit Duellen auf Augenhöhe, die es so ja sonst nur ab dem Viertelfinale bei der WM oder EM gebe. Gleichwohl lächelte er bei der Frage amüsiert, ob er sich im Falle eines Abstiegs um seinen Posten sorge. Druck habe er immer, er verspüre jetzt wegen der Nations League keine Steigerung. Er erinnerte an die Weltmeisterschaften von 2006 bis 2014, bei denen er in der Verantwortung stand: „Da soll ich Druck wegen der Nations League spüren?“ Die Silben des Wettbewerbs dehnte er verächtlich in die Länge.
Am Ende bedankte sich Müller beim Dolmetscher, der wünschte seinerseits viel Erfolg. „Auch für das Spiel?“, fragte der Münchner und lächelte schief. Mal sehen, was jenseits der Denkzone passiert.