Die Mutter aller Profiligen

von Redaktion

VON GÜNTER KLEIN

Der Beginn der Geschichte, das war klar, musste spektakulär sein. Als erstes Spiel der Geschichte der DEL wurde ein Derby angesetzt, das bisher getrennte Welten zusammenbringen sollte. Und eröffnen würde es ein Weltstar.

Augsburger Panther – Maddogs München, damit ging es los im September 1994. Die Augsburger Panther hatten unter ihrem alten Namen Augsburger EV die Zweite Liga gewonnen und waren der natürliche Aufsteiger, die Maddogs München waren als EC Hedos München Deutscher Meister geworden. Für den symbolischen Puckeinwurf holte man einen, der für die Liga stand, der die DEL nacheifern wollte: die nordamerikanische National Hockey League, die NHL. Bobby Hull, ehrfurchtsvoll „Golden Jet“ genannt, hatte weit über 1000 Mal in der NHL gespielt, den Stanley Cup gewonnen diverse All-Star-Team-Berufungen erhalten.

Hull, damals 55, ließ sich also von der Deutschen Eishockey-Liga engagieren, sich nach Deutschland fliegen, bewirten. Auf einem Teppich schritt er zum Bully-Punkt und grüßte freudig in alle Richtungen. Aufmerksamen Beobachtern entging nicht, dass der Star Mühe hatte, seinen Job zu erfüllen. Der Golden Jet war ziemlich blau, er hatte im VIP-Raum gut getankt. Bavarian Beer.

Das Augsburger Stadion, offiziell für 7774 Zuschauer zugelassen und an drei Seiten offen, war nicht überbordend ausverkauft wie in den Zweitliga-Playoffs – die Leute fanden es befremdlich, dass ihr AEV sich den Aufstieg sportlich verdient hatte, die neue Liga, die DEL, allerdings noch fünf weitere bisherige Zweitligisten aufnahm. Die Maddogs München waren auch ein komisches Konstrukt, das Wappen auf den Trikots abgekupfert von dem der Anaheim Mighty Ducks aus der NHL. Dreieinhalb Monate später war der Meister pleite und stellte den Spielbetrieb ein, die Mannschaft zerfiel.

Ein Super-GAU für die Deutsche Eishockey-Liga, denn genau solche Fälle von Misswirtschaft, bekannt aus der Eishockey-Bundesliga, die es von 1958 an gegeben hatte, sollten in der DEL vermieden werden. Die Idee war: Statt eingetragener Vereine spielen Kapitalgesellschaften, die streng betriebswirtschaftlich agieren und sich einem Controlling durch die Liga unterwerfen. Sie sind sich bewusst, dass sie ein gemeinsames Produkt propagieren, das deutsche Spitzeneishockey. Das war die Franchise. Die Clubs wurden zu Franchise-nehmern. Franz Reindl, heute Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) und zusammen mit Franz Hofherr erster Geschäftsführer der DEL, griff immer zum McDonald’s-Vergleich. Die Clubs als Betreiber der Restaurants – das Design und das Angebot wird von oben vorgegeben.

DEL – Segelclub Delmenhorst?

Keine andere deutsche Liga in den großen Mannschaftssportarten verfuhr 1994 nach diesen Prinzipien, das Eishockey war wieder mal die erste Sportart, die es wagte: Die Profiliga, die sich selbst verwaltete. Und die zum „Closed Shop“ wurde, Wer reinwollte, musste sich eine Lizenz kaufen.

Es gab, wenige Tage, bevor Bobby Hull sich in Augsburg gepflegt einen ansoff, eine große Pressekonferenz der DEL im Münchner Hilton-Hotel. Vorgestellt wurde die Struktur der Liga – und ihr Logo. Die Buchstaben DEL auf einer geschwungenen Fahne. Der „Spiegel“ konstatierte: Sieht nicht nach Eishockey aus, sondern nach Segel-Club Delmenhorst.

Was die Journalisten damals noch nicht wussten: Es gärte in der DEL. Zunächst war da der Krach unter den führenden Köpfen. Präsident des Verbands, des DEB, war der Kaufbeurer Steuerberater Ulf Jäkel. Vizepräsident: Wolfgang Bonenkamp aus Düsseldorf. Schatzmeister: der Augsburger Banker Gottfried Neumann. Bonenkamp und Neumann bildeten eine Allianz gegen Jäkel, dem sie vorwarfen, er habe Marketing-Aufträge der neuen Liga an Spezln vergeben. Das Präsidium des DEB zerbarst.

Für die Clubs oder Franchises in der DEL war das Hauptproblem aber ein anderes: Sie strebten nach Mitbestimmung. Dass die Liga faktisch zu hundert Prozent dem Verband gehörte, ging ihnen nicht in den Kopf. „Wenn wir schon für die Einnahmen sorgen, dann wollen wir auch bestimmen dürfen, wie wir die Einnahmen erzeugen“, sagte Bernd Schäfer III, Rechtsanwalt aus Köln und im Vorstand der Haie. Er wurde zur Figur des Widerstands, zog für die Vereine und Kapitalgesellschaften vor das Schiedsgericht des DEB, fuhr Experten auf wie den Wettbewerbsrechtler Klaus Vieweg.

Die noch dem DEB gehörende DEL GmbH nahm sich den aus dem Fußball bekannten Reinhard Rauball als Anwalt – er erlebte vor dem Schiedsgericht ein Fiasko. Rauball verließ sich auf seine Aura, kam unvorbereitet mit einem Aktentäschchen. Gegenspieler Schäfer III wuchtete zwei Pilotenkoffer auf den Verhandlungstisch. Die Vereine gewannen den Prozess, der Verband war draußen aus der Liga, die er gegründet hatte. Die DEL gehörte ab 1997 – den Clubs.

Gernot Tripcke kam da als junger Rechtsanwalt und mit der Lebenslauf-Bemerkung „Leitet einen Fanclub der Montreal Canadiens“ in die Verwaltung. Die Anfangszeit im DEL-Büro in Köln: „Ein täglicher Zwei-drei-Fronten-Krieg mit DEB, dem Weltverband, den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.“ Schäfer III hatte die Rechte an der DEL an Leo Kirchs Taurus-Gruppe verkauft, die Liga verschwand im Pay-TV – was sie später bereute.

„Wir waren die Piraten und Outlaws des deutschen Sports“, weiß Tripcke noch. Auch die neue DEL ging durch schwere Zeiten: Standorte verschwanden (Frankfurt, Kassel, Hannover, Hamburg), Lizenzen wanderten hin und her. Ein schönes Beispiel: Der EV Landshut übergab 1999 seinen Platz in der DEL der amerikanischen Neuschöpfung München Barons, 2002 zog das Team um und wurde zu den Hamburg Freezers. Die lohnten sich 2016 nicht mehr, dafür durften die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven die Gesellschafteranteile an der Liga übernehmen. Die Lizenz reiste also durchs ganze Land.

Der Traum vom Coca-Cola-Einstieg

Solche Transaktionen haben die traditionelle Kundschaft verstört, die sich schon mit dem Tiernamen, die die Clubs sich 1994 geben sollten, nicht anfreunden konnte. Auch das Bosman-Urteil von Dezember 1995 traf die DEL mit voller Wucht. Sofort fielen die Grenzen, die Teams bekamen eine internationale Besetzung, zur Jahrtausendwende mussten lediglich fünf deutsche Spieler pro Mannschaft gemeldet sein.

Ein ursprünglicher Antrieb der DEL-Gründung war gewesen, Eishockey in die Großstädte zu bringen. Auf der Wunschkarte standen Hamburg (hielt sich als Standort 14 Jahre), Oberhausen (fünf Jahre), Stuttgart, Leipzig, Dresden – 1994 rechnete niemand mit Wolfsburg, Ingolstadt, Straubing, Bremerhaven. Heute sagt Tripcke: „Die Mischung macht’s.“

1994 waberte das Gerücht durch die Eishockeyszene, Coca Cola wolle mit jährlich 100 Millionen D-Mark die neue Liga unterstützen. Der Konzern aus Atlanta stieg niemals ein. Jedoch wurde Eishockey zum Investorensport. Der amerikanische Milliardär Philip Anschutz betrieb zeitweise zwei Clubs (München Barons/Hamburg Freezers und die Eisbären Berlin), seit 2013 ist der Österreicher Didi Mateschitz dabei (München), der handelskonzern Metro betrieb einige Zeit die Düsseldorfer EG, die Nürnberg Ice Tigers profitieren von der Finanzkraft des Schmuckhändlers Thomas Sabo, tragen als Club auch seinen Namen („Thomas Sabo Ice Tigers“ – zuvor „Sinupret Ice Tigers, benannt nach einem Medikament), die Adler Mannheim sind das Herzensprojekt der Unternehmer-Familie Hopp (SAP-Gründer), VW powert die Grizzlys Wolfsburg.

Es entstand eine schöne neue Hallenwelt. Erster Schritt: Der Umzug der Kölner Haie von der Lentstraße (Fassungsvermögen 7200) in die 1998 eröffnete Kölnarena (18 500). Es folgten Arenen in Hamburg, Berlin, Mannheim, Nürnberg, Düsseldorf, Krefeld, Hannover. Und alle zwei Jahre entert die DEL fürs „Winter Game“ ein Fußball-Stadion.

Die DEL war das „role model“ für die Ligen in Hand- und Basketball, sie ist auch älter als die Deutsche Fußball-Liga, die in vielem nie so weit ging wie die DEL. Tripcke: „Wir haben ausschließlich Kapitalgesellschaften“ (der Fußball hat noch eingetragene Vereine wie Schalke) „und keine 50+1-Regel“. Die DEL erkennt 100-Prozent-Bestimmer an.

Widerstand gibt es nicht. „Wir sind nicht mehr die böse Organisation im Weltall“, sagt Gernot Tripcke, der 2000 zum Geschäftsführer der DEL aufstieg, weil Schäfer III den Clubs zu teuer wurde. Schäfer rächte sich, indem er mit einem Cousin des Filmregisseurs Detlev Buck ein ZDF-Politmagazin mit Infos über Schwarzgeldzahlungen in der DEL fütterte. Ein Skandal wurde nicht daraus. 2010 starb der streitbare Schäfer. Seine Liga lebt. Es geht ihr relativ gut. Die Gesellschafter verstehen sich. Man tagt auch mal auf Mallorca.

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