München – In der weißen Staubwolke rappelt sich ein Mann auf. Er ist gerade abgestürzt, was ihm eher selten passiert. Die Zeit drängt, ein Versuch noch. Er tunkt seine Hände in den kleinen Beutel mit Magnesium, klatscht sie einmal zusammen und klammert sich wieder an die Griffe der Wand. Er tastet sich vor, erst mit den Beinen, dann mit den Armen, immer eng an der Wand. Dann drückt er sich ab, streckt den rechten Arm aus, berührt den Stein – und stürzt doch wieder ab. Das weiße Magnesium wirbelt durch die Luft, die Zeit ist abgelaufen. Die Route hat sogar ihn überfordert, Jersey Kruder, den besten Boulderer des Jahres.
Ein paar Minuten später steht Kruder, 27, am Freitagmorgen unter dem Dach des Olympiastadions in München. Vor ihm klettern seine Konkurrenten, 128 sind zum Weltcup-Finale im Bouldern angereist. Kruder futtert M&Ms, seine zwei Kinder zupfen an seiner Hose. „Es war wirklich sehr schwer“, sagt er. Der Slowene führt in der Weltcupwertung, vier Punkte muss er in München vor dem Japaner Tomoa Narasaki verteidigen. Am Freitagmorgen hat er drei von fünf Routen gemeistert, was für eine Qualifikation eigentlich wenig ist. In München ist jedoch alles ein wenig anders.
Die Kletterszene steht auf den Olympiapark. Schon zum achten Mal versammelt sich die Boulder-Elite hier zum Weltcup, so oft wie an keinem anderen Fleck der Welt. Das hat mit der besonderen Kulisse des Stadions zu tun, aber auch mit den treuen und fachkundigen Fans, 5000 haben sich für das Finale der Männer und Frauen am Samstag (ab 18 Uhr) angekündigt. Und dann ist da noch die Stadt München, die dem Klettersport sehr zugeneigt ist und erneut 50 000 Euro in das Event investiert. Bundestrainer Urs Stöcker sagt: „Es ist vermutlich der beste Boulder-Weltcup der Tour.“
Am Freitagmorgen deutet sich die besondere Atmosphäre nur an. Auf der Tribüne sind noch große Lücken, diejenigen, die da sind, kennen sich aber aus. Sie fuchteln mit ihren Armen durch die Luft und diskutieren, wie die besonders kniffligen Steine zu greifen sind. Am Zaun vor der Wettkampfbühne tigern die Trainer entlang, sie filmen ihre Schützlinge. Immer wieder rufen sie: „Allez!“ Vorwärts, auf geht’s. Das hört man an Kletterwänden auf der ganzen Welt.
Nur die Japaner haben ihren eigenen Ruf. Sie schreien: „Gamba, gamba!“ Auch sonst fallen sie auf. Wenn sie sich die Wand hochziehen, sieht das manchmal so aus, als würde der Superheld Spiderman ein Hochhaus hinaufflitzen. Von den 20 Männern, die sich fürs Halbfinale qualifiziert haben, kommen neun aus Japan. Ein Stadionsprecher sagt: „Wir sind hier bei den japanischen Meisterschaften.“ Ein Zufall ist das nicht. In zwei Jahren machen die Kletterer das erste Mal bei Olympia mit. Und weil die Spiele 2020 in Tokio stattfinden, hat der Gastgeber seine Kletterabteilung aufgerüstet. Das Ergebnis ist in München nicht zu übersehen – und wird übrigens auch live in die Heimat gesendet. Ein japanischer TV-Sender überträgt aus dem Olympiapark, obwohl das Finale in Japan mitten in der Nacht ausgestrahlt wird.
Vielleicht dürfen die Zuschauer im fernen Japan auch einen Deutschen bestaunen. Yannick Flohé, Alexander Averdunk und Jan Hojer stürzten ab und zu, kletterten aber ins Halbfinale. Wie auch der Slowene Jersey Kruder.