Männer! Krieger! Klassenkämpfer!

von Redaktion

Von Günter Klein

Wenn man bei Youtube „Traineransprache DFB-Pokal“ eingibt, dann kommt Kristian Arambasic als Erster. „Verrückte Ansprache: Trainer tanzt in der Kabine – SG Aumund-Vegesack – Hoffenheim.“ Über eine halbe Million Aufrufe, seit der Clip 2013 eingestellt wurde. Darunter von Begeisterung kündende Kommentare: „Der Trainer weiß, was motivieren ist!!!! Davon kann sich (fast) jeder Bundesligatrainer etwas abgucken.“

1:51 Minuten. Sie beginnen damit, wie Arambasic den CD-Player, der am Boden der Kabine steht, in Gang setzt. Er geht ein paar Schritte, er hebt die linke Hand, Daumen und Zeigefinger bilden einen Kreis. Der Trainer fängt jetzt an – mit strenger, eindringlicher Stimme. „Männer“, sagt er, „wir haben drei Jahre dafür hingearbeitet, um diesen Moment wahrzunehmen heute . . . DFB-Pokal, das ganz große Ding.“ Er zeichnet den Weg nach, wie man so weit gekommen ist. SG Aumund-Vegesack, ein Bremer Amateurclub, fünfte Liga. „Wir haben einen Bundesligisten zu Gast, und nicht bei SV Werder, sondern bei SGAV, bei Aumund-Vegesack.“

1:10 Minuten: Kristian Arambasic gerät in Wallung, die Tonlage wird schärfer, er vergleicht: „Wir haben dafür gearbeitet. Sechs Wochen, sieben Tage lang. Ihr arbeitet noch. Nicht wie die da drüben.“ Verächtlich geht sein Blick zur Wand, hinter der die Kabine der Hoffenheimer sein muss. „Die spielen nur Fußball. Die kommen zehn Minuten früher raus und albern da ein bisschen rum. Ihr geht jetzt da hin und reißt euch den Arsch auf, nichts anderes.“

Die Ansprache erreicht ihren Höhepunkt: „Wir sind ein . . .“, hebt Arambasic an, „. . . Team“ kommt es zurück. Das dreimal. Und es geht noch weiter: Die Spieler springen auf, der Trainer schleudert ihnen den Arm entgegen, es ist ein allseitiges Gebrülle geworden. „Team, Team, Team“ kommt es aus Hälsen mit geschwollenen Adern.

Fünf Jahre später Anruf bei Kristian Arambasic, der passenderweise gerade Mittagspause in der Schule hat. Er ist Lehrer an der Oberschule, fünfte bis zehnte Klasse, Fächer Sport und Deutsch. Wenn man ihn nur von den knapp zwei Minuten auf Youtube kennt, muss man überrascht sein: Arambasic, der gerade den FC Oberneuland trainiert, einen anderen Bremer Verein, hat eine milde Stimme.

Klar: Er ist nicht immer so, wie er für Aumund-Vegesack vor dem Pokalspiel gegen Hoffenheim war. „Solch eine Ansprache halte ich vielleicht zwei, drei Mal im Jahr“, sagt er. „Sonst verbraucht sich das.“ Das entspricht auch der Lehrmeinung des Deutschen Fußball-Bundes. „Wenn ein Spieler an jedem Spieltag gesagt bekommt, dass der entsprechende Tag der entscheidende in der Saison ist, wird man ihn mit der Zeit auf diese Weise nicht mehr erreichen. . . Die größte Herausforderung ist es dabei wohl für den Trainer, den Spannungsbogen ständig aufs Neue aufzubauen, ohne sich dabei zu wiederholen.“ So erläutert es der DFB auf seinem Internetportal für die vielen Trainer im Land.

Kristian Arambasic sagt heute, er könne seine Rede vom Sommer 2013 gewiss nicht Wort für Wort repetieren. Er hält sie auch nicht für seine beste. Das sei die, die er im Mai 2013 gehalten hat, als Aumund-Vegesack im Pokal auf Oberneuland (seinen jetzigen Club) traf und als Außenseiter 4:0 gewann und sich für die Hauptrunde im DFB-Pokal qualifizierte. „Damals“, sagt Arambasic, „haben vier Spieler sogar geweint“. Aber es war keine Kamera dabei.

Das ergab sich auch vor dem Hoffenheim-Spiel erst kurzfristig. Sky fragte zwanzig Minuten vor dem Anpfiff, ob man mit in die SGAV-Kabine dürfe. Der Reporter versicherte, dass man niemanden bloßstellen würde und dass Arambasic davon ausgehen könne, dass den Leuten gefallen würde, was sie sehen. Der Trainer hat darauf geachtet, „dass ich nicht unter die Gürtellinie gehe, den Gegner nicht beleidige“.

Nun gut, klassenkämpferisch ist seine Rede schon geworden an der Stelle „Wir arbeiten – und die spielen nur Fußball“. Aber es hat ihn halt gevervt: „Wir gehen 45 Minuten vor dem Spiel zum Aufwärmen“ – vom Gegner keine Spur. Die Hoffenheimer kamen später und nur kurz auf den Platz – ein Zeichen geringer Wertschätzung. Das musste er schon loswerden.

Vorbereiten tut er solche Reden nie. „Das ist immer spontan. Es muss halt authentisch sein, das ist das Wichtigste.“ Nur die Musik, die sucht Arambasic gezielt aus. Er will ein Zusammenspiel von Sound und Wort erreichen. „Die Musik sollte heroisch sein.“

Arambasic hat die Trainer-A-Lizenz, aber Psychologie-Schulung hat er in der Ausbildung beim DFB nicht erlebt. Mittlerweile versucht der Verband, in seinen Publikationen Tipps zu geben, wie man eine Mannschaft auf ein Spiel einstellt. Und es gibt private Internet-Portale wie lernologie.de, die die „7 Erfolgsfaktoren erfolgreicher Trainer-Ansprachen“ listen, oder „Planet Training“, ein Netzwerk, das „digitales Trainingsmanagement“ anbietet. Man bekommt Ratschläge wie „bildhafte Sprache anwenden“ (beispielhaft: Jürgen Klinsmanns Ansprache an seinen Verteidiger Arne Friedrich bei der WM 2006 vor dem Viertelfinale gegen Argentinien: „Arne, der Tevez muss deinen Atem spüren“) oder dass man die Mannschaft nie mit einem negativen Einstieg in eine Rede belasten solle.

Blut-, Schweiß- und Tränenreden finden natürlich nicht nur statt, wenn kleine gegen große Teams spielen wie im DFB-Pokal, sondern auch vor den Begegnungen ungefähr gleichrangiger Profi-Teams. Zu sehen im preisgekrönten Film „Trainer“ von Aljoscha Pause, wo etwa der Heidenheimer Zweitliga-Coach Frank Schmitt seine Spieler ständig an der Ehre packt („Männer!“). Oder in einem Clip, den RB Leipzig verbreitet hat. In der Endphase der Aufstiegssaison 2015/16 schwächelt die Mannschaft, sie müsste wieder gewinnen, ihr Trainer Ralf Rangnick macht sie an: „Eine Radiomoderatorin hat gesagt: Wäre schön, wenn sie wieder als Mannschaft spielen und nicht als Einzelspieler. Kann man durchaus so stehen lassen, hat die junge Dame nicht so schlecht gesagt. . . Was wir brauchen, ist Wir-Gefühl und Zusammenhalt. Das Problem ist: Man kann sie nicht herbeireden, das sind alles Floskeln.“ Dennoch floskelt Rangnick: „Wir müssen dieses Schlachtengefühl haben.“ Er macht das Licht aus – und nach ein paar Sekunden wieder an. „Steht auf, ich will da draußen ’ne Truppe voller Krieger sehen.“ Leipzig siegte und stieg auf. Und Rangnick wird nach zwei Jahren Pause wieder Trainer.

Doch wie hat eigentlich 2013 die Ansprache von Kristian Arambasic gewirkt?

Dazu gibt es zwei Geschichten. Die der ersten Halbzeit war, dass sie 0:0 endete. Der Bundesligist kam auf Platz elf der Anlage rund ums Weserstadion zu nicht mehr als einem Pfostenschuss. Gute Rede also, wirksam gewesen.

Doch es gibt auch die Geschichte, die der Endstand erzählt: 0:9. In der 55. Minute fiel der erste Treffer gegen die Amateure von Aumund-Vegesack. Zwei weitere fix hinterher. „Weil wir angefangen haben zu dribbeln, weil wir glaubten, wir könnten mitspielen.“ Arambasic hat das in der Halbzeit kommen sehen – und hat dagegen nicht mehr anreden können. Am Ende des Spiels war er sauer – bis sich die Spieler entschuldigten: „Trainer, wir hätten hören sollen.“ Auch die Halbzeitansprache ist ein spezieller Moment der Trainer-Team-Beziehung.

Heute ist das Pokalspiel von 2013 eine schöne Erinnerung für Arambasic, die Krönung einer dreijährigen Gemeinsamkeit mit einem Team. „Wir waren definitiv die einzige Mannschaft in dieser DFB-Pokalrunde, bei der die Spieler kein Geld bekommen haben.“

Auch darum die Worte: „Männer, ich bin so stolz, bei euch dabei zu sein. Männer, das ist der Moment.“ Männer sagt er übrigens nicht bei Jugendmannschaften; auch die hat er schon trainiert. Er appelliert dort an die „Jungs“.

Der Lehrer Arambasic überlegt noch ein wenig, ob er im Schuldienst bleiben oder sich in den Profifußball wagen soll. Er hat Praktika gemacht bei Peter Neururer, bei Valerien Ismael, er war bei Hannover und Dortmund zur Hospitanz.

Die kurze Berühmtheit des Sommers 2013 hat Kristian Arambasic nicht ausgenutzt. Er hatte Anfragen. Für „Joko und Klaas“ auf ProSieben, für „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ im WDR. Er hat alles abgesagt.

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