Das neue Establishment sind die Unterdrückten von damals

von Redaktion

Hängen bleibt ein vielsagendes Bild: Ein Mitglied hat sich lang gemacht, verbringt die letzte Stunde einer Marathonversammlung scheinbar schlafend auf drei Stühlen. Aber: Er ist nicht betrunken, geht trotz offensichtlicher Müdigkeit auch nicht nach Hause. Sondern: Er harrt aus, will auch die letzte Abstimmung des Tages nicht verpassen. Und vor allem: Er, mutmaßlich ein Mitglied der Pro1860-Fraktion, will dabei sein, wenn verkündet wird, wer beim TSV 1860 künftig das Sagen hat.

Es ist diese Ausdauer, diese Beharrlichkeit, die Pro1860 am Sonntag im Zenith einen umfassenden Triumph beschert hat. 2017 hievte die in Giesing verwurzelte Vereinigung den investorkritischen Präsidenten Robert Reisinger ins Amt. 2018, bei einer weiteren Richtungswahl, verwies sie das oppositionelle „Team Profifußball“ in die Schranken, erteilte ihm eine beispiellose Lehrstunde in punkto Geschlossenheit. Weil sie es im Gegensatz zur ARGE verstand, nicht nur zu motivieren, sondern auch zu mobilisieren. Die Folge ist, dass die Strukturen im Verein nun für die nächsten drei Jahre zementiert sein dürften. Präsidium, Verwaltungsrat, Wahlausschuss – alles fest in Händen einer Gruppierung, die zum Ziel hat, dem machtbewussten Hasan Ismaik einen maximal eigenständigen e.V. entgegenzusetzen.

Dass die ARGE schon vor der Versammlung kapituliert hatte, belegten am Ende auch die Abstimmungsergebnisse. Selbst der schlechteste Pro-Kandidat erhielt fast 200 mehr Stimmen als der beste Kandidat der Opposition. Aber: All das ist keine Überraschung, sondern das Ergebnis einer Entwicklung, die ihren Anfang noch im letzten Jahrhundert nahm. Da nämlich erlebte eine junge Fangeneration, wie schmerzhaft es ist, wenn sich die Spitze Schritt für Schritt von der Basis entfernt. Hier der allmächtige Präsident Karl-Heinz Wildmoser, dort die Mitglieder, die mit List und Tücke und der Einführung des Delegiertensystems mundtot gemacht wurden. Satzungen wurden auf dem kleinen Dienstweg angepasst, Wahlvolk organisiert, Entscheidungen getroffen, die so weitreichend waren wie umstritten. Der Umzug ins Olympiastadion, die Ausgliederung der KGaA, der Bau einer Arena zusammen mit dem Erzrivalen FC Bayern – all das geschah ohne den Segen der Fangeneration, die jetzt das Kommando hat. Überspitzt könnte man sagen: Sie haben Anschauungsunterricht genommen – und schlagen nun mit ähnlicher Wucht zurück. Die jüngsten Versammlungen waren so perfekt durchchoreografiert, so gut organisiert und vorbereitet, dass gar kein anderes Ergebnis herauskommen konnte.

Aber: In Zeiten, da ein Investor mit im Boot sitzt, ist eine Bündelung der Kräfte absolut geboten. Und: Die ersten Reaktionen nach der Versammlung waren durchaus ein Mutmacher. Markus Drees, einer der Aktivposten, erklärte, dass das Votum keines gegen Ismaik, sondern für einen starken e.V. gewesen sei. Prompt waren auch von Ismaik selbst versöhnliche Töne zu vernehmen – er gratulierte den Wahlsiegern, obwohl mit einigen noch vor Kurzem im Clinch liegend. Dass der Jordanier plötzlich den Demokraten in sich zu entdecken scheint, ist ein positives Signal und sicher auch der Eindeutigkeit der Wahl geschuldet. Das Establishment sind jetzt die Unterdrückten von damals. Und wenn sich einer wie Ismaik von einer Sache beeindruckend lässt, dann ist es maximale Tatkraft, die sich nur entfaltet, wenn sich Leidenschaft mit Handlungsstärke paart. So wie bei Pro1860 – und künftig noch mehr bei 1860. uli kellner

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