Brutaler Gefühlsabsturz

von Redaktion

Vettels Hockenheim-Crash bringt Wende im Titelkampf, den auch Spekulationen um neues Triebwerk befeuern

Von Jens Marx

Hockenheim – Sebastian Vettel wollte nur noch weg. Aber nicht mal das klappte problemlos auf dem gefluteten Hockenheimring. Nach dem brutalen Gefühlsabsturz bleibt dem viermaligen Formel-1-Weltmeister nur ein Trost: „Wir haben gezeigt, dass wir überall konkurrenzfähig sind, ich freue mich daher auf Ungarn.“ Allerdings sollte Vettel keinen Blick auf die Wetterprognosen richten: Am Sonntag sind in Budapest Gewitter möglich.

Vettel hatte es zumindest nicht weit: Er blieb eine Nacht daheim in Heppenheim, rund 50 Kilometer vom Hockenheimring entfernt, der für den Ferrari-Star ein verfluchter Ort bleibt. Er war in Führung liegend von der Strecke geflogen, sein großer Titelkonkurrent Lewis Hamilton war von Startplatz 14 zum Triumph gefahren. Selbst eine Strafe und die nachträgliche Siegaberkennung für Hamilton hätten an Vettels Hockenheim-Trauma nichts geändert. Es war ein emotionaler Härtetest – allerdings auch für Hamilton, dessen erneuter Sieg in der Heimat seines Erzrivalen erst drei Stunden nach Rennende wirklich feststand. Sein Manöver in der Runde vor Vettels Aus – aus der Boxengasse zurück auf die Strecke – ist verboten. Ausnahmen gelten laut Regelwerk nur bei „höherer Gewalt“. Nicht festgelegt ist das Strafmaß. Es bleibt bei einer Verwarnung, unter anderem weil keine Gefahr im Verzug war und Hamilton sowie sein Mercedes-Team sich offen reumütig und geständig gaben. Alles andere wäre einer Farce gleichgekommen: Die Zuschauer hätten sich durch Kilometer lange Staus gekämpft und erst zuhause erfahren, dass Hamilton gar nicht der Sieger ist.

Das feurige Titelduell dürfte nach den Spekulationen um die Legalität des neuen Ferrari-Triebwerks vor dem Rennen in der Puszta noch weitere Würze bekommen. „Es ist normalerweise nicht die Strecke, auf der wir am stärksten sind“, sagte Hamilton mit Blick auf den Hungaroring. Weil es aber auch kein ausgewiesener Motorenkurs ist, hofft er, dass Ferrari die brachiale Kraft des deutlich verbesserten Antriebs nicht ausspielen kann. Dass die Strecke Vettel und der Scuderia liegt, beweisen aber die zwei Siege seit 2015. Allerdings gewann Hamilton schon fünfmal in Ungarn – so oft wie kein anderer Fahrer.

Und der Sieg auf dem Hockenheimring scheint den Briten weiter gestärkt zu haben. Nach den Pleiten und Rückschlägen der vergangenen Wochen – Platz zwei hinter Vettel in England, Quali-Aus am Samstag wegen eines Hydraulik-Defekts – hatte er schon das Gefühl, dass ihm die WM entglitten wäre. Mit Glück und vor allem aber mit dem letztlich doch unerschütterlichen Glauben an sich selbst, hat Hamilton seinen Rivalen vorerst wieder unter seine Kontrolle gebracht. Eine Rolle spielte auch, dass Mercedes Hamiltons attackierenden Teamkollegen Valtteri Bottas, der als Zweiter den unerwarteten Doppelerfolg perfekt machte, zurückgepfiffen hatte. Vom Kommandostand der Scuderia aus war allerdings auch Kimi Räikkönen, Dritter beim Deutschland-Rennen, aufgefordert worden, Vettel überholen zu lassen.

Ob es die Weiterentwicklungen der Roten Göttin und des Silberpfeils sind, oder ob es eine mentale Stärkeprobe für die beiden PS-Protagonisten ist: Der Kampf um den fünften Titel für Vettel oder Hamilton ist längst zu einem epischen Duell geworden. Kein Wunder, dass der Brite das Unwetter nach dem vorerst letzten Hockenheim-Grand-Prix als „biblischen Sturm“ wertete.

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