München – Einer fehlte. Auf der Bühne im Zenith reihten sich am späten Sonntagabend die Wahlsieger auf, acht Männer, eine Frau, sie winkten ins Publikum, grinsten den Fotografen in die Kameras. Die Mitglieder des TSV 1860 hatten sie gerade in den Verwaltungsrat gewählt. Und während die neuen Amtsträger im Scheinwerferlicht tuschelten, musste ein alter Mitstreiter im Schatten zusehen. Karl-Christian Bay fehlte.
Nun ist der TSV 1860 ein Verein, in dem fast immer gezankt wird. Wenn es aber um Bay, 48, einen Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer aus Lindau, geht, sind sich die politischen Lager in der Beurteilung schon immer erstaunlich einig gewesen: ein Fachmann für Finanzen und Recht, den man in Giesing sehr gut gebrauchen kann.
Sie sprechen aus Erfahrung. Bis Januar 2017 hat Bay den Verwaltungsrat als Vorsitzender angeführt. Er wäre jetzt gerne ins Gremium zurückgekehrt. Nur verweigerten die Wähler ihm den Wunsch. Eine Entscheidung, die für sich genommen eher unbedeutend, für die Analyse des Abends aber doch sehr hilfreich ist. Der Fall Bay offenbarte nämlich gut, wer die Mitgliederversammlung bestimmte.
Es gibt in Giesing neue Königsmacher, sie nennen sich Pro1860. Das einflussreiche Bündnis war im vergangenen Jahr bereits für die Wahl des Präsidenten Robert Reisinger eingetreten. Vor dem großen Löwen-Treffen im Zenith hatte Pro1860 nun eine Liste mit neun Kandidaten veröffentlicht – als Wahlempfehlung. Und weil am Sonntag vor allem die Pro1860-Unterstützer die Halle füllten, zogen alle neun Kandidaten der Liste in den Verwaltungsrat ein.
Wer auf jener Liste fehlte, war chancenlos. Etwa Karl-Christian Bay. Ihn hatte Pro1860 bewusst nicht empfohlen: Weil Bay bereits im Aufsichtsrat der KGaA sitzt, fürchteten sie einen Interessenkonflikt.
Die Macht der Liste traf vor allem aber ein anderes Bündnis mit Wucht: das „Team Profifußball“. Die Gruppe, die sich wieder 1860-Investor Hasan Ismaik annähern wollte, brachte nicht einen Vertreter im Verwaltungsrat unter. Ihrem besten Kandidaten, Ex-Profi Bernhard Winkler, fehlten mehr als 170 Stimmen.
Es scheint daher leicht, die Folgen der Wahl zu deuten. Pro1860 will den Verein von Ismaik zu emanzipieren. Für den Kurs steht Präsident Reisinger, für ihn stehen jetzt die Verwaltungsräte – wenngleich der Ratsvorsitzende Dr. Markus Drees sagte: „Das war keine Wahl gegen Hasan Ismaik, sondern für einen starken und selbstbewussten e.V.“
Der Investor bewertete das Ergebnis aus der Ferne – und nahm’s sportlich. Via Facebook gratulierte Ismaik den neuen Verwaltungsräten und wünschte sich „in den nächsten Jahren eine positive Zusammenarbeit“. Er fügte dann noch einen Gruß an: „Wir bedanken uns auch ausdrücklich bei den gescheiterten Kandidaten für ihr Engagement in den vergangenen Wochen und hoffen, dass die Wahlergebnisse nichts an ihrer Grundeinstellung zu unseren Löwen ändern und sie dem Verein auch weiterhin die Treue halten.“ Eine kleine Botschaft an das „Team Profifußball“.
Die Verlierer erklärten sich dann einen Tag später – mit einem schriftlichen Fazit, verschickt vom Unternehmer Klaus Ruhdorfer. Sie betonten, dass Pro1860 und der Ultra-Block „top organisiert, politisch aktiv und effizient“ sind. Und natürlich zählten sie noch einmal jene Probleme auf, die sie bereits in den vergangenen Wochen stets vorgetragen hatten: Den Karten-Mangel (laut Schreiben betrifft das etwa 10 000 Fans pro Spiel), die „limitierte[n] Vermarktungsmöglichkeiten im Stadion“, die „bayernweit abgehängten U19- und U17-Mannschaften“ und die „Insolvenzvermeidung“ samt „schwierige[r] Gespräche mit dem Hauptgesellschafter“.
Ruhdorfer und seine Mitstreiter wollen ab jetzt „aufmerksam beobachten“, wie mit diesen Fragen umgegangen wird, im Zentrum des Vereins war für das „Team Profifußball“ aber kein Platz. Das dürfte sich so schnell auch nicht ändern. Die wichtigen Posten sind mit Leuten besetzt, die Pro1860 unterstützt.
Dazu zählt auch Präsident Reisinger. Trotzdem sagte er mit Blick auf die neue Machtstruktur gestern zur „tz“: „Ich hätte es aus Gründen der Vielfalt und Kompetenz begrüßt, wenn einige Kandidaten außerhalb der Pro1860-Liste in den Verwaltungsrat gewählt worden wären.“