München – Als sich Eric Cantona auch noch einen Teller Spaghetti auf den Kopf setzte und dem Original damit frappierend nahe kam, erlebte die WM in Russland den einzigen Rückzieher, der ein Volltreffer wurde: Brasiliens Top-Star Neymar lief im zweiten Vorrundenspiel mit bereinigter Frisur auf. Die Spaghetti-Zotteln, auch als kanariengelbes Vogelnest oder Wischmopp veralbert, hatte er sich abrasieren lassen. Es sah manierlicher aus – aber hätte Neymar nicht standhaft bleiben müssen? Cantona trat nach seiner Fußballerkarriere als Schauspieler schon wie der liebe Gott ihn schuf auf, er gefällt sich als spöttischer Querulant – muss man so einem nachgeben? In dem Fall: Klares Ja!
Neymar lief akut Gefahr, in die Fußstapfen seines Landsmanns Ronaldo zu treten, der 2002 mit einem eigenartigen Dreieck auf der Stirn stürmte in der Hoffnung, Fans auf der ganzen Welt würden ihm folgen. Er hatte das Glück, Weltmeister zu werden. Nur dieser Umstand bewahrte ihn davor, als haarige Fußnote der Turniergeschichte zu enden. Das Dreieck sah man trotz WM-Sieg auf keiner Fan-Stirn. Geschmack hat doch Grenzen.
Vorsicht: Nur für Männer mit ovalem oder eckigem Gesicht
Seit David Beckham beim gleichen Turnier damals in Japan und Südkorea den Irokesen salonfähig machte, ist die Männerfrisuren-Welt jedoch nicht mehr die, die sie davor war. Bis dahin trug man(n) seine Haare irgendwie wie immer und ging alle paar Wochen zum Friseur. Der Brite veränderte alles. Und seitdem setzen große Fußball-Turniere auch immer wieder Trends. Dieses Mal nicht. Die WM in Russland ist vorbei – und was blieb? Fazit 2018: Die meisten Top-Stars mussten Haare lassen. Das war’s aber auch. Tendenz: Durchschnitt.
Vor vier Jahren sagten die jungen Männer nach der WM in Brasilien noch zu ihrem Stammfriseur, sie wollen so aussehen wie die Kicker im Fernsehen. Nicht unbedingt wie die Chilenen um Arturo Vidal mit ihren Radikal-Irokesen, aber im Grunde war es die Geburt des Undercut, der in Russland noch immer das Bild bestimmte: Nicht nur die Halme unter den Stollen akkurat getrimmt, sondern auch die Haare gut 1,80 Meter über der Grasnarbe. Die Frisur dieser WM bezeichnet die Coiffeure-Szene als einen „Undercut mit Übergang zum Sidecut“, oder auch als „Military Cut“. Der Berliner Star-Friseur Shan Rahimkhan präzisierte ihn in der „GQ“ als einen „Long Crop“. Cristiano Ronaldo trug das par excellence zur Schau: Ein sauber ausrasierter Seitenscheitel, mehrere Millimeter breit.
Es handelt sich um einen soliden Haarschnitt, der von seiner Perfektion lebt, unter Soldaten sehr beliebt und nichts für Faulpelze ist: Alles muss auf den Millimeter akkurat gestutzt werden, alle vier, fünf Tage muss der Rasierer ran. Gerade die etwas breitere Scheitellinie, so der Experte, sei nur toprasiert ein Hingucker. Das Deckhaar sollte zusätzlich mit Conditioner verwöhnt werden. Es braucht sich da keiner täuschen: Cristiano Ronaldo oder auch der Deutsche Toni Kroos haben viel Zeit für diese Frisur. Weil die Korrektheit so essenziell für diesen Look ist, wird er auch als „Clean Cut“ bezeichnet.
Ist alles sauber drapiert, ist es ein Gentlemen-Look. Für Sportler zudem perfekt, weil kein Haar stört, die Sicht ist stets frei, kein Schweiß perlt von Zotteln in die Augen. Es ist auch ein kerniger Kontrast zu den flamboyanten Styles der letzten Jahre; blondierte Strähnchenmähnen sind out, der Minimalismus ist zurück. Oder auch der Quadratschädel, da muss man aufpassen: Für Männer mit ovaler bis eckiger Gesichtsform ist der Look geeignet, runde oder volle Gesichter wirken noch fülliger. Auch solle man die Finger von dem Schnitt lassen, wenn man ein sehr feines oder waagrecht vom Kopf wachsendes Haar hat.
Wikinger Gislason als Minimalist: Dutt und Dreitagebart
Alle WM-Stars über einen Kamm zu scheren, wäre aber freilich falsch. Es gab Ausreißer vom Einheitslook, doch für die Exotik musste man genau hinschauen: Der Nigerianer Willian Ekong trug einen grün gefärbten Streifen in seinem Haupthaar, der mit dem Trikot korrespondierte. An der Seitelinie war der Senegalese Aliou Cissé ein Farbtupfer, der einzige dunkelhäutige Trainer und jüngste Coach im Turnier tüftelt unter imposanten Dreadlocks an seiner Taktik. Auch die Bartträger befinden sich im Fußball auf dem Rückzug; während bei der EM 2012 die Italiener mit wilden Auswüchsen noch eine ganze Generation an Hipstern inspirierten, standen der Australier Mile Jedinak und der Schwede Jimmy Durmaz mit ihren Räuber-Hotzenplotz-Imitationen diesmal relativ allein da. Nicht einmal die Isländer kultivierten ihren Wikinger-Look: Zwar stellten sie in Rurik Gislason den Schönling des Turniers; doch auch der reduziert den Wildwuchs mit Dreitagebart und Dutt auf ein Minimum.
Bei Joshua Kimmich, Sergio Ramos und einigen anderen ließ sich ein Schnitt ausmachen, der entfernt an eine Mönchstonsur erinnerte. Der Spanier trug eine ausgefeilte Variante, bei dem Deutschen passte der Look zur Gesamtdarbietung: Der Pfeil am Hinterkopf zeigte steil bergab.
Auch Neymar spielte nach seinem Umstyling mit einer Variation dieses Schnitts. Mit einem vom Haupthaar abgesetzten Pfeil verstärkte er dabei aber die Wirkung Abwärtstrend sogar. Nun, so oft wie er fiel, passte auch diese Tendenz nach unten.