Die Rückkehr des echten Djokovic

von Redaktion

Mit dem Dreisatzsieg über Anderson und dem vierten Wimbledontitel überwindet der Serbe endgültig die schwierigste Phase seiner Laufbahn

Wimbledon – Wieder stopfte er sich ein paar Büschel Gras in den Mund, obwohl das Gras sicher nicht besser schmeckte als beim letzten Mal; zwei Wochen Sommerwetter und Hitze hatten ihre Spuren auf Wimbledons Centre Court hinterlassen. Doch der Geschmack war Novak Djokovic in diesem Moment herzlich egal. Mit einem souveränen Sieg gegen Kevin Anderson aus Südafrika (6:2, 6:2, 7:6) gewann der Serbe gestern Nachmittag seinen vierten Titel in Wimbledon, den 13. insgesamt bei einem Grand-Slam-Turnier. Ein Bild allerdings war neu: In der Spielerloge applaudierte mit sichtlich Freude ein kleiner Mann im blauen Polohemd – Stefan Djokovic, knapp vier Jahre alt. Natürlich war Daddy schwer gerührt, das zu sehen, und so passten die Dinge im Leben des Serben so fein zusammen wie schon lange nicht mehr.

Im Viertelfinale der Championships im vergangenen Jahr hatte er sich eine Verletzung im rechten Ellbogen zugezogen, danach hatte er 2017 nicht mehr gespielt, ein Comeback-Versuch bei den Australian Open endete mit einer Niederlage in Runde vier und mit der Diagnose der Ärzte, er werde wohl nicht um einen Eingriff am Ellbogen herumkommen. Anfang Februar wurde er operiert, ein paar Wochen später beim Turnier in Indian Wells spielte er wieder.

Mit Beginn der Sandplatzsaison kehrte sein langjähriger Trainer Marian Vajda zum Team zurück, und ab Mitte Mai war allmählich Besserung zu erkennen. Und spätestens beim grandiosen Spiel im Halbfinale in Wimbledon, dem 52. Duell mit Rafael Nadal, kehrte der echte Novak Djokovic, der Mann mit zwölf Grand-Slam-Titeln, der die Welt des Tennis 2015 und in den ersten sechs Monaten 2016 mit stahlharter Hand und eisernem Willen dominiert hatte, zurück.

Fünf Stunden und 15 Minuten lang, verteilt auf einen Abend und zwei Stunden am frühen Nachmittag des nächsten Tages, schenkten die beiden der Welt des Tennis ein großes Erlebnis, das der Serbe schließlich mit 10:8 im fünften Satz gewann. Er hatte danach weniger als 24 Stunden Zeit, sich fürs Finale wieder in Form zu bringen, aber er galt dennoch als Favorit, denn sein Gegner hatte am Tag zuvor noch eine ganze Weile länger gespielt. Beim Sieg in fünf Sätzen, verteilt auf sechs Stunden und 36 Minuten gegen den Amerikaner John Isner, dem zweitlängsten Spiel der Geschichte Wimbledons nach dem wahnwitzigen Rekordspiel von Isner und Nicolas Mahut vor acht Jahren, lebten beide am Ende vor allem von ihrer Fähigkeit, nicht aufzugeben und Asse zu servieren.

Doch Anderson, Finalist im vergangenen Jahr bei den US Open, überzeugte nicht nur auf dem Platz, sondern auch hinterher, als er sich aus Respekt vor Isner jede Jubelgeste verkniff und in den allerhöchsten Tönen von der Leistung des Gegners sprach. Beide waren sich einig, in Wimbledon müsse für einen fünften Satz endlich ein Tiebreak her – vielleicht beim Stand von 9:9 oder 12:12. Als das Finale gestern bei schönstem Sommerwetter und Temperaturen um die 30 Grad begann, wirkte Kevin Anderson tatsächlich so, als fehlten ihm einige Stunden Ruhezeit; nach etwas weniger als 75 Minuten lag er mit 0:2 Sätzen zurück.

Wer weiß, wie die Sache allerdings ausgegangen wäre, hätte der seit langem in den USA lebende Südafrikaner Ende des dritten Satzes einen seiner vier Satzbälle verwandelt. Doch mit erstklassigen Aufschlägen wehrte Djokovic jeden der vier Satzbälle ab, und im Tiebreak war er nicht mehr zu stoppen.

Anderson aber, der im Viertelfinale nach einem Rückstand von 0:2 Sätzen und Abwehr eines Matchballs gegen Roger Federer noch gewonnen hatte, machte auch in den allerletzten Momenten auf Wimbledons Centre Court eine tolle Figur. In seiner kleinen, emotionalen Rede bedankte er sich mit leicht zittriger Stimme bei allen, die ihn unterstützt hatten, auch aus seiner Heimat, und schloss mit den Worten: „Hoffentlich steht in 20 Jahren ein Spieler aus Südafrika hier und sagt, ich sei eine Inspiration für ihn gewesen.“ doris henkel

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