Dies ist meine siebte Fußball-WM. 1990 war meine erste als Journalist, nur 1998 habe ich verpasst. Ich bin also ein WM-Routinier.
Man hat immer ein Gefühl vor einem großen Turnier, vielleicht bildet man sich am Ende auch ein, was man ein paar Wochen zuvor gefühlt zu haben glaubt. Aber diesmal war es wirklich so, dass ich eine Ahnung in mir trug: Mit der Titelverteidigung wird das nichts. Weil es – siehe all die gescheiterten Vorgänger – grundsätzlich fast ausgeschlossen ist, das zu schaffen. Und weil viele Argumente – in unserem Fall: noch bessere Spieler, tieferer Kader, der DFB in vielen Belangen weltweit führend – gar nicht so wichtig sind. Man kann wie in Brasilien auch Spieler im Kader haben, die von ihrer Qualität nicht reinpassen, aber dann für etwas anderes stehen. Lieber ein Erik Durm, der weiß, dass er nicht spielt, als Spieler, denen klar ist, dass sie die Klasse hätten und eingesetzt werden müssten, aber eine Schnute ziehen, wenn dies nicht geschieht. Es wurden wohl viele Schnuten gezogen in den zwei WM-Wochen.
Das Auftaktspiel ist wichtig, immens wichtig – trotz der deutschen Tradition, kein gutes zweites Match folgen zu lassen. Erste Spiele deutscher Mannschaften waren oft eine Eruption. Das Lothar-Matthäus-Deutschland mit dem 4:1 gegen Jugoslawien 1990, das 8:0 gegen Saudi-Arabien 2002, das bei allem eingeschränkten sportlichen Wert den Torjäger und WM-Spieler Miro Klose gebar, das wuchtige 4:2 gegen Costa Rica 2006 mit dem Philipp-Lahm-Tor (alle anderen Treffer von damals hat man vergessen), 2010 und 2014 die 4:0s gegen Australien und Portugal. Da spielte das Thomas-Müller-Deutschland. Die schönsten WM-Spiele, die ich miterlebte, waren die 4:1-Siege 2010 in Südafrika nacheinander gegen England und Argentinien. Wie dieser spargelbeinige Müller aus Pähl am Ammersee die Granden des Weltfußballs aufmischte und danach die Großeltern grüßte – wunderbar. Auch wenn man sich von Berufs wegen um Distanz bemüht – das ging für einen Moment tief in die Seele.
An diesen Augenblicken, die mit früheren Turnieren verbunden sind, war die deutsche Mannschaft 2018 nur einmal dran. Wie gegen Schweden gewonnen wurde, dieses 2:1 aus der Notlage heraus – da konnte man denken: Okay, es wird nicht das totale Desaster. Man kommt weiter. Aber das Gefühl „Weltmeister auf keinen Fall“ verfestigte sich. Noch nie hatte die Mannschaft so in den Abgrund blicken lassen wie jetzt gegen Mexiko. Nie waren die Tage von Brasilien so weit weg. Auch die von Südafrika, von Deutschland 2006 oder von Italia Novanta. Die Mannschaft ließ immer mehr die Leichtigkeit als ihre Anspannung spüren. 2018 hat sie Gelassenheit inszenieren müssen Jogi Löw urlauberlike am Strand von Sotschi.
2014 war für alle toll. Wir hatten ja im Vorfeld auch gemosert: Bierhoff und sein Campo Bahia, zu dem man die Fähre nehmen muss. Doch mit der ersten Überfahrt war der Ärger verflogen, er wich dem Empfinden, für ein paar Wochen etwas zu erleben, was es kein zweites Mal geben wird. Oder als wir zwei Tage vor dem Finale in Rio de Janeiro landeten und zum Hotel fuhren. Erstmals in der hereinbrechenden Nacht die erleuchtete Christus-Statue zu sehen – die Stadt kam einem vor wie ein heiliger Ort. Hier würde etwas geschehen.
Moskau ist großartig, hervorragend erschlossen (tausend Mal besser als Rio), praktisch. Aber Watutinki, das Kaff, das keiner kennt, das „Hotel“ des DFB, das nicht mal eine offizielle Adresse hat, das war Mist, einfach nur Mist. Spätestens da war klar, dass keine neue Campo-Geschichte geschrieben werden würde. Alles sträubte sich gegen Watutinki.
Aber dass es so kommen würde … Vorrunden-Aus. War das abzusehen?
Das Trainingslager war eine schöne Zeit. Wegen Südtirol. Aber es war auch nur Routine. Früher waren mehr Extras, Besuche anderer Sportler, die Mannschaft gab sich offener. Heuer: keine Reize, alles inhaltsleer, der DFB bot nur Pflichtprogramm. Die Pressekonferenzen wurden kurz gehalten oder fielen auch mal entgegen dem Plan ganz aus. Was man beim Training von der Mannschaft sehen konnte (wenn man reindurfte): Es wurde gelacht. Hätte man nicht glauben sollen, „dass wir uns alle gut verstehen, eine gute Gruppe sind?“ Mario Gomez rüffelte beim Medientag einen Journalisten, der ihn darauf ansprach, dass er deutlich älter sei als die meisten in der Mannschaft: „Ja, meinen Sie denn, ich finde keine Gesprächsthemen mit einem zehn Jahre Jüngeren?“
Irgendwie hat man es nicht richtig glauben können, dass alle in Eppan und später in Russland Kumpel waren. Vor vier Jahren hat sich das ja auch erst entwickeln müssen.
2014 strebte alles auf einen Abschluss zu, der der Titel für eine Generation denn auch war. 2018 hat noch nichts Neues begonnen. Es war eine WM im Niemandsland.
Nachbetrachtung