Kasan –- „Individuell sind wir besser als 2014“ – ein Satz, den man auch von den Spielern öfter hörte. Und den man so ähnlich aus der DFB-Geschichte schon kannte: „1994 waren wir eigentlich stärker besetzt als 1990, als wir Weltmeister wurden.“ Doch so golden kann eine Generation gar nicht glänzen, dass sie nicht Gefahr läuft, sich zu blamieren im speziellen Format eines auf wenige Momente verdichteten Turniers. Das ist unsere Kurzturnier-Einzelkritik.
Torhüter
Manuel Neuer: Nur er kam zum Einsatz, und man kann natürlich nicht behaupten, dass er an irgendwas schuld gewesen wäre – trotz für Neuer unüblichen vier Gegentreffern in drei Spielen. Fakt ist jedoch auch, dass er seit der EM 2016 kaum mit der Nationalmannschaft zu tun hatte. Es wäre stimmiger gewesen, Marc-Andre ter Stegen zur Nummer eins zu machen. Man hätte nicht schlechter abgeschnitten. So spielte der Barca-Keeper eine Statistenrolle wie Kevin Trapp. Gut, Löw ist einer Mehrheitsmeinung gefolgt, wie sie etwa Michael Reschke, Manager des VfB Stuttgart und Neuer-Kenner aus der FC-Bayern-Zeit, beim letzten WM-Test gegen Saudi-Arabien zum Ausdruck gebracht hatte: „Manuel Neuer ist der beste Torwart, den es je gegeben hat. Es wäre fahrlässig, auf ihn zu verzichten.“
Verteidiger
Löw kam gar nicht dazu, sein Zweitsystem Dreierkette, auf das er beim Confederations Cup gesetzt hatte, anzuwenden. Er ließ sehr traditionell spielen, wobei er – ungewöhnlich – in drei Spielen vier Innenverteidiger brauchte. Mats Hummels ist immer noch der Beste, den er hat (trotz einiger diskutabler Vorstöße gegen Schweden), ein Bestimmer, der hinten klärt und nach vorne agiert. Jerome Boateng im Grunde auch. Sein Pech war, dass er von anderen in Situationen gebracht wurde, die er nur mit Fouls klären konnte. Niklas Süle hat gegen Südkorea ordentlich gespielt, er wird wohl bald einen der beiden Stammplätze einnehmen. Antonio Rüdiger konnte die Heldensagen, die man erst in Italien, dann in England über ihn erzählte, noch nicht rechtfertigen.
Bitter verlief die WM für Matthias Ginter, den fünften Innenverteidiger. Keine Minute für ihn – wie schon 2014. Bei der WM 16 stand er nicht im Kader.
Zu den Außenverteidigern: Joshua Kimmich gilt als der einzige, den Deutschland auf der rechten Seite hat. Doch sein Spiel wirkt so, als sei es unter seiner Würde, als der abwehrende Mann in einem Zweikampf zu gehen. Ihn treibt es nach vorne, was toll aussieht, wenn er dann seine Flanken und Pässe in die Mitte bringt oder selbst scort. In der Offensive fehlte ihm jegliche Präzision – es war ein schlechtes Turnier für ihn. Der Welpenschutz von 2016 gilt nicht mehr.
Jonas Hector ist mindestens eine Klasse besser als die Kader-Notlösung Marvin Plattenhardt (gegen Mexiko von den anderen kaum angespielt). Der Kölner, der jetzt in der 2. Liga verschwindet, spielte akzeptabel, halt aber auch glücklos.
Mittelfeld zentral
Obwohl gegen Südkorea nicht berauschend, ist Toni Kroos der aktuell beste deutsche Fußballer. Allerdings erweckt der Champions-League-Star auch den Eindruck, er leide darunter, von Leuten umgeben zu sein, die ihm nicht das Wasser reichen können. Gegen Mexiko tat er sich schwer, weil er zugestellt wurde, gegen Schweden war er nicht ballsicher wie sonst. Das Aus nahm er gefasst entgegen – mit Real Madrid ist seine Welt in Ordnung.
Sami Khedira hat nicht mehr die Klasse für die Nationalmannschaft, seine Leistung war katastrophal, zurecht wurde er beide Male, als er spielte, ausgewechselt. Seine Behäbigkeit und Fehlerhaftigkeit lähmte das Spiel.
Sebastian Rudy bekam gute Kritiken für die 25 Minuten, die er spielte. Ein blutiger Nasenbeinbruch verhinderte, dass er eine tragendere Rolle einnahm – schade für ihn, die personelle Konstellation war günstig.
Ilkay Gündogan kam gegen Schweden als Rudy-Ersatz. Gemessen am Druck, der auf ihm lastete, hielt er sich gut. Doch ein glücklicher Nationalspieler wird er wohl nicht mehr werden, schon vor vier Jahren hätte er der neue Schweinsteiger sein sollen.
Leon Goretzka ist in der Bundesliga ein „Box-to-box-player“, der Mann, der das Herz eines Teams schlagen lässt. In dieser Rolle brillierte er auch beim Confed Cup. Die WM verlief für ihn grottig. Ein Teileinsatz auf völlig falscher Position.
Mittelfeld offensiv
Mesut Özil hatte immer schon viele Kritiker – meist aus fadenscheinigen Gründen (Totschlagargument Körpersprache), oft aus Mangel an Fachkenntnis. Özil spielte in Russland seinen Özil-Fußball – allerdings mit der Bürde der Verunsicherung durch die Erdogan-Affäre. Ein Özil, der mit sich selbst zu tun hat, kann aber kein Führungsspieler sein.
Marco Reus fliegen nach seiner Verletzungsgeschichte die Herzen zu, er ist eine gereifte Persönlichkeit, sorgte für erfreuliche Momente im deutschen Spiel – doch Weltklasse ist eine andere Kategorie, in der er sich nicht aufhält. Gegen Südkorea bestätigte sich einmal mehr der Vorbehalt, dass er untertaucht, wenn man ihn bräuchte.
Thomas Müller: Die WM war immer seine Bühne, der rote Faden der Karriere. Seine Saison bei Bayern war gut, er war bester Scorer der Liga, auch auf dem Weg zur WM war er im DFB-Team eine feste Größe gewesen. Er kämpfte gegen die Krise an, doch er verlor. Allerdings kann keiner sich so fürs Gemeinwohl einbringen wie er – auch wenn es persönlich nicht läuft.
Julian Draxler startete in der ersten Elf, am Ende saß er auf der Bank und kam von ihr nicht mehr weg. Nach dem Zwischenhoch EM 2016 und Confed Cup 2017 zurückgefallen auf den Status des Talents, bei dem das gewisse Etwas fehlt.
Julian Brandt musste sich mit Kurzeinsätzen begnügen, von denen zumindest zwei ziemlich gut waren. Aber er wurde kein so wertvoller Joker wie 2014 Andre Schürrle. Löw honorierte Brandts Leistung nicht angemessen.
Stürmer
Timo Werner ging torlos aus dem Turnier. Beherzte Spielweise ist ihm nicht abzusprechen, allerdings gehört er noch lange nicht zur Kategorie von Angreifern, die für internationale Klasse stehen – im Abschluss mit mehr Defiziten, als man es von der Bundesliga erwartet hätte. Hält sich aber schon für supergut, ein Schuss Demut würde nicht schaden.
Mario Gomez wird seine Nationalmannschafts-Karriere ohne einen Titel beenden müssen. Er ist ein angenehmer Typ, war körperlich topfit, aber musste ein weiteres Mal anerkennen, dass er über höheres Bundesligaformat nie hinausgekommen ist.