Kasan/Moskau – Heimfliegen nach Frankfurt, Das ist das falsche Ziel in Deutschland. Eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft will immer nach Berlin. Auf die Fanmeile. Ans Brandenburger Tor. So muss das Skript eines großen Turniers enden, mit dem Wiedereintauchen in die Heimat, dort, wo sie am stärksten pulsiert. Frankfurt bedeutet: Die Ziele sind nicht erreicht worden, man schleicht sich raus aus dem Flughafen oder weiter an ein Umsteigegate. Gestern war Tor 13 angesagt. Dorthin lud die DFB-Spitze nach der Landung zur kurzen Information, wie es weitergeht.
Resultat: Man weiß es noch nicht, es ist alles in der Schwebe: „Wir sind übereingekommen, dass die sportliche Leitung im Laufe der kommenden Woche der Führung des DFB eine erste sportliche Analyse vorlegen wird, und dann rechne ich auch damit, dass der Bundestrainer sich zu seiner Zukunft äußern wird“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel. Aktuell wollte Joachim Löw sich am Flughafen Frankfurt noch nicht festlegen, wohin er tendiert: Rücktritt – oder neuer Angriff? „Schmerz und Enttäuschung halten mich gefangen“, so fasste er seine Befindlichkeit zusammen, „wir sind wahnsinnig traurig“. Als könne er es noch immer nicht fassen: „14 Jahre sind wir den Weg nach oben gegangen.“ Er will nun ergründen, „welche Fehler wir gemacht haben“.
Damit ist klar: Die nächsten Tage werden von heftigsten Diskussionen geprägt sein. Sie werden Abrechnungen gleichen – und nicht Analysen.
Steht im deutschen Fußball nun alles wieder auf Null, wie die ersten Experten in der Nacht nach dem 0:2 gegen Südkorea, dem letzten Platz in der Vorrundengruppe und dem erstmaligen deutschen WM-Aus in einer solch frühen Phase in den Raum gestellt haben?
Offensichtlich war, dass speziell in der Vorbereitung auf dieses Turnier einiges schiefgelaufen ist. Dass es die Trainer nicht geschafft haben, aus zwei Teams – Weltmeister 2014, Confederations Cup-Sieger 2017 – eine Einheit zu bilden. Die einen stellten ihre Platzhirsch-Ansprüche, die anderen waren die forschen Aufsteiger, die sich vor einem Jahr in Freiheit, ohne die Regentschaft der Etablierten, hatten entwickeln können. Es gab eine Schnittmenge zwischen beiden Gruppen, aber eine kleine: Matthias Ginter und Julian Draxler hatten beide Turniere erlebt. In Brasilien waren sie Randfiguren gewesen, in Sotschi, Kasan und St. Petersburg vor einem Jahr Führungskräfte, die sich für die WM 2018 was ausrechnen durften. Nun verschwanden sie wieder in der zweiten Reihe. Joachim Löw sah die alten Spieler vorne.
Tief blicken ließ, was Sami Khedira sagte: „Wir haben vor der WM gesagt, dass die Weltmeister von 2014 das Team tragen müssen. Das ist nicht einfach mit mehreren jungen Spielern, aber wir wollten es so und haben die Verantwortung angenommen.“ Anmaßende Sätze, weil sie suggerieren, die Stars von Brasilien seien den Anforderungen gerecht geworden. Khedira war eine der größten Enttäuschungen, und das musste er zumindest einräumen: „Keiner hat sein Potenzial entfalten können – Manuel Neuer ausgenommen.“
Erstaunlich die mentale Schwäche. Ein Weltmeister, der Klage führte, „dass wir nie in Führung gegangen sind, sodass wir unser Spiel hätten aufziehen können. Wir mussten Rückständen hinterherlaufen“, so Oliver Bierhoff. Noch erstaunlicher, dass das 2:1 gegen Schweden gar nichts hinterließ in der Haltung der Mannschaft. Mit Anpfiff der Partie gegen Südkorea war das Zaudern wieder da. Mexiko wirkte nach. Ein unbewältigtes Trauma.
Kein Team betreibt einen solchen Aufwand wie das deutsche. Es ist so groß mit seinem „Team hinter dem Team“, dass es immer ein Um-die-70-Zimmer-Hotel exklusiv für sich beansprucht bei einem Turnier. Es hat einen Sportpsychologen, einen Yoga-Trainer, es wird von SAP und – Achtung, Südkoreaner – Samsung mit allem beliefert, was es für die Analyse braucht. Mit dem stolzen Verweis auf die Partnerschaften und die eigene Professionalität schafft man sich aber auch eine Fallhöhe.
Die Fans sind sauer, in Frankfurt hingen zum Willkommen Banner, auf denen „Schande“ stand! Die Mannschaft hatte am Morgen, bevor sie Watutinki verließ, das Quartier, mit dem sie nicht warm wurde, versucht, mit einen entschuldigenden Gruß an die Fans die Lage zu entkrampfen: „Wir sind genauso enttäuscht wie Ihr! Eine WM ist nur alle vier Jahre, und wir hatten uns so viel vorgenommen. Es tut uns leid, dass wir nicht wie Weltmeister gespielt haben. Daher sind wir auch verdient ausgeschieden, so bitter es ist. Eure Unterstützung war super, in Deutschland und in den russischen Stadien. In Rio 2014 haben wir noch zusammen gefeiert. Aber zum Sport gehören auch Niederlagen und das Anerkennen, wenn die Gegner besser waren.“
Löw wird sich erst einmal zurückziehen. Er ließ den Satz stehen: „Es braucht tiefgehende Maßnahmen, klare Veränderungen.“ Vielleicht war das schon sein Bundestrainer-Vermächtnis.