Sotschi – Wenn man die erste Halbzeit verloren hat, am Ende aber als Sieger dasteht und in der zweiten Hälfte ganz anders gespielt hat, führt das immer zur Frage: Was ist in der Kabine geschehen? Hat der Trainer eine Blut-und-Ehre-Ansprache gehalten, hat seine Stimme sich überschlagen beim Appellieren?
Joachim Löw, verrät Timo Werner, sei in der Halbzeit „schon etwas lauter geworden. Aber nicht negativ, sondern positiv.“ Der Bundestrainer selbst sagt, er sei sachlich geblieben: „Dass wir nicht in Panik verfallen, sondern ruhig bleiben sollen. Keine langen und hohen Bälle schlagen, sondern weiter versuchen, hinter die schwedische Abwehr zu kommen. Sie müde zu spielen. Wir haben noch 45 Minuten Zeit.“
45 Minuten, auf die fünf draufgegeben wurden (letztlich sogar mehr als sieben) vom Schiedsrichter. Mit Szymon Marciniak aus Polen und seinem Assistenten-Team waren die Schweden unzufrieden. Ein Streitpunkt war, dass es ihrer Ansicht nach bereits in der 12. Minute einen Elfmeter (Boateng an Berg) hätte geben müssen. „Da war sicher ein Schubser“, hatte auch Toni Kroos von seiner Warte aus bemerkt, argumentierte jedoch auch: „Es gibt Überprüfungsmöglichkeiten en masse. Man hätte das auflösen können.“
Manuel Neuer erzählte, wie schwer es gewesen war, in der Halbzeit dazusitzen – nachdem Ola Toivonen das Tor für Schweden erzielt hatte, drübergelupft über ihn. Toivonen spielt beim FC Toulouse, in der Ligue 1 in Frankreich hat der Stürmer diese Saison kein einziges Punktspieltor geschossen. Neuer: „Wieder in Rückstand geraten, wieder hinterherlaufen müssen, wissen, was für eine Aufgabe man vor sich hat.“ Doch wichtig war dann auch, „dass wir das schnelle 1:1 erzielt haben.“ In der 48. Minute: WM-Debütant Marco Reus. Mit dem Knie.
Die Deutschen spielten jetzt anders. Mit Mario Gomez, der hereingekommen war. Timo Werner ging nach links. Sein Job: für flache Hereingaben sorgen, für Schweden viel problematischer als die hohen Bälle. „Wir haben wirklich ein Superspiel gemacht“, so empfand es Werner. „Wir haben bei Weitem weniger Fehler gemacht als gegen Mexiko“, fand Joachim Löw. Er war aber dann doch angewiesen auf eine Einzeltat, den Freistoß von Toni Kroos: „Es freut mich besonders, dass er dieses Tor geschossen hat.“ Weil es ja sonst kein Toni-Kroos-Spiel gewesen war: Dem Mittelfeldstar fehlte die übliche Ballsicherheit. Das war augenscheinlich, auch wenn er selbst es zurückwies: „Ich habe gefühlt 400 mal den Ball, da können doch mal zwei Pässe nicht ankommen.“ Die Deutschen bleiben für sich selbst schon noch gefährlich. Anfällig für Konter. Auch Südkorea wird am Mittwoch versuchen, schnell umzuschalten, viel zu laufen.
Hat Löw nun seine Mannschaft gefunden? Nun: Jerome Boateng wird ein Spiel gesperrt sein, jedoch Mats Hummels zurückkehren („Es sieht gut aus“, sagt er, die Blockade im Nacken löst sich auf). Mesut Özil durfte am Samstag nicht spielen, was für den Rest des Turniers aber nichts bedeuten muss. „Wir werden seine Kreativität noch brauchen“, sagt Löw.
Sebastian Rudy musste nach 25 Minuten vom Platz, in einer unglücklichen Aktion ohne Absicht hatte er die Stollen von Toivonen ins Gesicht bekommen – eine blutige Angelegenheit. Sechs Minuten lang versuchte man ihn zu behandeln, „doch der Mull“, so Rudy über den Einsatz von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, hat gleich gesagt, dass die Nase gebrochen ist“. In der Tat: Sie sitzt ziemlich schief im Gesicht. Trotzdem war Rudy nach dem 2:1 gut drauf. Das Tor hatte er mit Verzögerung mitbekommen: „Ich lag in der Kabine, weil es immer noch blutete. Dann hörte ich einen Schrei und lief zum Monitor.“ Er teilte das Glück der anderen. Gestern wurde er dann operiert. Der Bayern-Profi bekommt eine Gesichtsmaske und sagt, sein Ziel sei es, übermorgen gegen Südkorea wieder zu spielen.
Beeindruckt von der DFB-Elf war Emil Forsberg, der Spielgestalter der Schweden (wobei: Viel Spiel war nicht). Der Leipziger meinte: „Man hat gesehen, wie gut die Deutsche immer noch sind, wenn sie Bock haben. Ihre zweite Halbzeit war einfach gut, sie sind weiterhin Titelfavorit.“