-Herr Buchwald, wie und wo haben Sie das Spiel gegen Schweden gesehen?
Ich schaue für den SWR alle deutschen Spiele. Am Samstag waren wir bei einer Einrichtung, die sich um Kinder in Not kümmert. Wir waren von der Startelf überrascht, vor allem, dass Mesut Özil draußen war. Aber die Wechsel haben viel gebracht: Marco Reus hat unheimlich belebt, mit Sebastian Rudy war mehr Ruhe, mehr Stabilität, da waren nicht ganz so große Lücken wie gegen Mexiko.
-Wie sehen Sie die deutsche Mannschaft nun nach diesem Spiel?
Mich irritieren die einfachen Fehler, die sich die gestandenen Spieler auch in diesem Spiel wieder geleistet haben. Die Mannschaft lässt sich so ungewöhnlich schnell verunsichern: Ein, zwei Fehler im Spielaufbau reichen, dann ist die Stabilität dahin. Das darf nicht sein. Es ist erstaunlich, wie fragil die Mannschaft derzeit ist. Phasenweise spielen sie stark, wenn sie über Timo Werner oder Reus Tempo aufnehmen. Aber dann lassen sie sich wieder total aus der Bahn werfen. Man sieht, wie sehr die Anspannung da nagt.
-Wird dieser Paukenschlag, das Siegtor in der Nachspielzeit zu zehnt, diese Anspannung lösen?
So ein Tor kann enorm befreien, kann Stärke geben. So ein Highlight, noch dazu bei dieser Dramatik, in Unterzahl und in letzter Sekunde – so etwas setzt Kräfte frei: Wir können es noch! Wir schaffen alles! Die Einstellung hat ja gepasst, fit sind sie auch. Dieses Tor kann der Türöffner zu diesem Turnier sein.
-Sie klingen aber nach wie vor skeptisch . . .
Ja, ich bin auch weiter noch skeptisch. Man muss ja klar sagen, dass Schweden bei allem Respekt kein internationaler Top-Gegner ist. Das ist die Kategorie maximal Achtelfinale, mehr nicht. Da kommen ja noch ganz andere Kaliber. Wenn man sich schon gegen Schweden so einfach aus der Ruhe bringen lässt, stimmt die Stabilität einfach nicht. Was wäre denn gewesen, wenn der Gegner Portugal gewesen wäre, wenn Cristiano Ronaldo diese Freiräume und Konterchancen bekommen hätte? Dann würde einem angst und bange.
-Was ist das Problem?
Die Sechser-Position ist das große Problem. Da fehlt die Balance im deutschen Spiel. Die Spieler dort haben momentan nicht die Form, die sie haben müssen. Sogar Toni Kroos, der ja auch ein halber Sechser ist, war bis auf sein Tor schlecht, richtig schlecht, das muss man mal so sagen. Mir fehlt in dem Bereich auch die nötige Zweikampfstärke. Ich würde deshalb da doch gern wieder Sami Khedira sehen, mit der klaren Aufgabe: Schau, dass du den Laden stabil hältst! Du musst nicht auch noch nach vorn rennen, du musst nicht auch noch ein Torschütze sein. Seine große Stärke war immer, die Zweikämpfe im Zentrum zu gewinnen. Er soll wieder die Hauptarbeit des Sechsers verrichten. Wenn Joshua Kimmich nach vorne stürmt, muss der Sechser für die Absicherung sorgen. Die Räume müssen zugestellt werden, sonst ist man bei Kontern offen.
-Ein Plädoyer für mehr Sicherheit.
Es bringt nichts, wenn sechs, sieben Mann vorne reinstürmen: Da ist ein Werner, Reus, Müller, Kroos, Draxler, Kimmich, wie sie alle heißen, alle um den 16er rum – wenn da auch noch der Sechser reinläuft, sind die Räume zu – und hinten steht man offen. Rudy hat das gut gemacht, fand ich. Momentan ist das Team mit einem schnellen Ball sofort ausgehebelt, und die Verteidiger stehen dann alleine da.
-Wie sehen Sie Jerome Boateng – ist er fit?
Er gefällt mir gut, obwohl er vor dem Turnier verletzt war. Natürlich hat er noch nicht die Form wie 2014. Aber das trifft bis auf Manuel Neuer auf alle Weltmeister zu. Die sind alle von ihrer WM-Form ein ganzes Stück weit weg, ob es ein Müller ist, Kroos, Mats Hummels – sie sind alle gut, aber sie rufen nicht die Leistung wie in Brasilien ab.
-Ist auf Antonio Rüdiger Verlass? Oder ist Ihnen mit Boateng und Hummels im Zentrum doch wohler?
Wohler ist mir mit Boateng und Hummels, ganz klar. Auf Rüdiger ist aber Verlass, trotz seines Klops’ – Hummels und Boateng haben ja auch Fehler gemacht. Ich hätte auch keine Sorge, wenn Niklas Süle einspringen müsste.
-Nimmt man die Leistung gegen Schweden als Maßstab: Kann man so Weltmeister werden?
Im Grunde nicht, nein. Aber jedes Spiel ist anders. Klar: mit dieser Leistung reicht es für den WM-Titel nicht. Dennoch habe ich wieder mehr Hoffnung als nach Mexiko. Mich stimmt der Jubel nach dem 2:1 sehr positiv. Da habe ich das erste Mal gesehen, dass diese Mannschaft intakt ist. Und dass sie wollen. Das habe ich vorher nicht so erkennen können. Da hatte jeder einen Rucksack auf dem Rücken. Ich hoffe, der ist jetzt weg. Dieses 2:1 kann die Befreiung gewesen sein. Aber es muss eine Steigerung her, in der Passgenauigkeit, in der taktischen Ausrichtung, im Torabschluss, in allem. Es sind aktuell noch zu viele Lücken im deutschen Spiel.
Interview: Andreas Werner