Andacht beim Blumenwalzer

von Redaktion

Sotschi, das wir gestern Nachmittag verlassen haben, hat uns während des Aufenthalts mit der deutschen Mannschaft einige schöne Abende beschert (nicht nur den Samstag). Im Olympiapark.

Der ist mit Leben erfüllt. Weniger wegen der Formel-1-Rennstrecke, die er bekommen hat, sondern aufgrund der Plaza um die Stelle, an der 2014 das Olympische Feuer loderte (mit Energie aus der nahen Gazprom-Niederlassung, nehmen wir an). Hier versammeln sich die Urlauber. Oft zu Tausenden.

Denn wenn die Dunkelheit hereinbricht, beginnen die Licht- und Wasserspiele. Dann schießen die Fontänen aus dem Brunnen um den ehemaligen Flammenhalter, in Höhe, Form und Farbe passend zur Musik. Spektakel!

Es beginnt mit Pop. Russisch, aber mit westlichem Zuschnitt: „You’re the only one“, das war der Beitrag zum Eurovision Song Contest 2016. Platz drei. Haben vielleicht auch die Fußball-Fans, die wegen der WM hier sind, noch im Ohr.

Danach wird es rührseliger. Wehmütigerer Pop, nicht mehr ganz so elektronisch. Wir verstehen, dass es um eine Katze geht („Koschka“) – und dafür sind wir grundsätzlich zu haben. Supersong. Das Publikum klatscht – obwohl die Musik doch nur eine Konserve ist, die abgespielt wurde. Und die Wasserstöße reguliert gewiss eine Software.

Und schließlich: die Erfüllung. Als ehemaliger Schulorchestermusiker erkennt man das Stück schon an den ersten Takten, doch auch die Tausenden von Russen, die hier stehen und vermutlich nicht in der Mehrzahl in Schulorchestern gespielt haben, sind von einem Moment zum anderen ergriffen. Gespräche, die geführt wurden, verstummen, Kinder werden zur Ordnung gerufen, feierliche Aufmerksamkeit legt sich über den Olympiapark. Gegeben wird der Blumenwalzer aus Tschaikowskys Ballett „Nussknacker“.

Sagen wir es so: Es gibt einige russische Exemplare, die ein wenig rauer wirken als der Durchschnittseuropäer. Männer vor allem, die in Ferienhotels in Sotschi oft nicht dazu zu bewegen sind, zum Frühstück wenigstens ein Unterhemd anzuziehen – doch selbst in ihnen steckt abrufbereit der russische Bildungskanon. Sie haben Dostojewski und Tolstoi gelesen, können die Handlung des „Schwanensee“ nacherzählen und wissen, wann Strawinski gelebt hat.

Wenn sie sich an Sotschi-Abenden an all das erinnern, dann ist das olympische Nachhaltigkeit. Günter Klein

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