„Sich beschummeln hilft“

von Redaktion

Psychologe Walter über den Mexiko-Schock, Körpersprache und mentales Golf

München – Nach dem 0:1 der DFB-Auswahl gegen Mexiko liegen die Nerven in Fußball-Deutschland blank. Der Düsseldorfer Sportpsychologe Jürgen Walter drehte mit Mats Hummels den 60 Minuten langen Film „Alles geschieht im Kopf“, der in der Mediathek des BR abrufbar ist. Er erklärt, auf was es nun ankommt – für die deutsche Mannschaft wie für die Fans.

-Herr Walter, das 0:1 war ein Schock. Was nun?

Es war ein Schock im wahrsten Sinn: Das haben die Spieler nicht erwartet, sie waren offensichtlich auf einen solchen Verlauf nicht vorbereitet. Jetzt muss man den Schalter umlegen – was fort ist, ist fort. Was ich für das Spiel gegen Schweden empfehle, ist sich zu beschummeln. Das ist hilfreich. Man sagt sich: Das ist jetzt ganz einfach ein tolles Spiel, das auf mich zukommt, auf das ich mich freue. Eher wie ein Freundschaftsspiel als wie ein WM-Showdown.

-Damit steuert man gegen den Druck, aber in einem Freundschaftsspiel habe ich auch vielleicht nicht die nötige Spannung.

Ich darf mich natürlich nicht gehen lassen. Aber als Profisportler trete ich ein Freundschaftsspiel auch mit dem Anspruch an, gewinnen zu wollen. Was ich meine: Es ist wichtig, sich jetzt zu sagen: Es steht wieder 0:0, ich kann alles geben und kann mit Mut nach vorne gehen. Gegen Mexiko habe ich fast keine Spielfreude erkennen können.

-Sie sagten, Sie hatten den Eindruck, die Mannschaft sei auf so einen Verlauf nicht vorbereitet gewesen. Woran machen Sie diese Beobachtung fest?

Gerade nach dem 0:1 haben die Deutschen eher verzagt gespielt: Nimm du den Ball, weil ich keinen Fehler machen will. Dabei ist der Mut, auch mal Fehler zu machen, essenziell, um eine Top-Leistung abrufen zu können.

-Dieses verzagte Spiel spiegelte sich auch in der Körpersprache wider.

Ja, das war kein gutes Signal. Man muss sich als Spieler immer klarmachen, wie wichtig meine Körpersprache ist. Der unbändige Wille strahlt nach außen aus – oder eben nicht. Das registriert auch der Gegner. Gegen Mexiko wirkten die Spieler so, als hätten sie einfach nur Angst, als wären sie von negativen Gedanken geleitet: Was passiert, wenn wir ausscheiden? Was sagen die Fans, was sagt die Presse? Im Wettkampf kann ich dem aber entgegenwirken, indem ich für mich selber einen Gedankenstopp einrichte, sobald eine Negativspirale in meinem Kopf startet. Da hinterfrage ich mich: Ist eine Tatsache oder eine Vermutung die Basis? Meist ist es nur eine Vermutung. Dann stoppe ich diesen Gedankengang und schalte um: Volle Konzentration auf die nächste Aktion, den nächsten Pass. Es hilft ja nichts, wenn ich einem Fehlpass hinterher trauere. Natürlich sind Spieler keine Maschinen – aber so etwas lässt sich mental trainieren.

-Fehlt da vielleicht ein Typ wie Bastian Schweinsteiger, der mit breiter Brust vorangeht – oder bekommt man das in einen Toni Kroos noch rein?

Das kann man in jeden reinkriegen. Sowas lässt sich sogar vor dem Spiegel überprüfen – Sie gaben ja gerade das Stichwort: Breite Brust. Vielen Spielern ist das aber nicht klar. Ich fand die Reaktion nach dem 0:1 fatal: Überall hängende Köpfe, schlürfende Schritte zum Anstoß – da muss die gegenteilige Reaktion erfolgen: Jetzt erst Recht! Jetzt zeigen wir, was wir können! Das habe ich vermisst. Man hat ja schon Spiele gesehen, wie Spieler bei einem Tor zum 1:4 den Ball aus dem Netz geholt haben, als Signal: Wir drehen das Spiel noch!

-Mit Mats Hummels haben Sie einen Film gedreht. Bayerns Nationalspieler spielt da „mentales Golf“. Was steckt da dahinter?

Ein kleiner Sensor am Finger misst bei Hautwiderstand und Temperatur die kleinsten Veränderungen. Setze ich mich unter Stress, geht ein Golfball auf einem Monitor vom Grün ins Wasser. Bei Entspannung ins Loch. Alle Sportler, mit denen wir das probiert haben, waren begeistert. Man sieht da, wie kleinste Gedanken meinen Körper beeinflussen können.

-Die Freude auf Erfolg und die Sorge vor Misserfolg – wie meistern die DFB-Stars die Problematik?

Das Glas ist nicht halb leer – es ist halb voll! Die Spieler müssen brennen wie Fett in einer Pommesbude am Grünwalder Stadion. Sie müssen aufhören, daran zu denken, was nicht passieren soll.

-Wie sehr zehrt der Druck des Mythos vom „unfehlbaren Deutschland“? Man hat zu funktionieren, beim Autobau wie bei einer Fußball-WM.

Das ist eine hohe Bürde, das muss ich ja dann immer zeigen. Das steht aber in keinem EU Gesetz, sondern nur in den Köpfen. Wenn ich oben bin, kann ich nur noch fallen. Ein bisschen Humor würde der Sache auch mal guttun.

Interview: Andreas Werner

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