„No griten!“ rief ihr mexikanischer Freund Pablo ihnen noch aus dem Fenster im ersten Stock hinterher: „Nicht so schreien!“ Er ist Fußball-Asket und hatte große Sorgen, dass seine fünf fröhlichen Landsleute die tief getroffenen Gefühle der Deutschen wenige Minuten nach dem Schlusspfiff des WM-Auftaktdebakels verletzen könnten. Aber die freudetrunkenen, jungen Austauschschüler aus Lateinamerika waren schon aus dem Haus, nicht mehr zu halten. Überglücklich stimmte Alvaro den Siegesgesang „Canta no llores“ („Singe, weine nicht“) auf dem leeren Schwabinger Trottoir an.
Während der Regen der Stadt passend zur deutschen Stimmung Trauerflor verlieh, ganz anders die Emotionslage bei den Siegern: Das Spiel der Spiele hatten sich die „mexicanos“ in einem Kellerraum angeschaut, wo sie quasi schalldicht fast unter sich waren, ihrer Jubelarie aber freien Lauf lassen konnten. Drei weitere Freunde aus ihrem Heimatland hatten vorbeigeschaut, dazu Sympathisanten aus Italien, Spanien und Brasilien. Die Show mit ohrenbetäubend oder total enthusiasmiert zu beschreiben, die die Fußballverrückten nach dem 1:0 abzogen, wäre viel zu unterkühlt: Geschrei ohne Ende bei jeder tapferen Tat ihrer Helden gegen den Favoriten. Und Sonderrapplaus für Ochoa, den Teufelskerl im Tor, der aus ihrer Heimatstadt Guadalajara kommt.
Nichts hielt sie mehr auf den Sitzen, als die Nachspielzeit überstanden war. Ludwigstraße und Innenstadt waren die Ziele. Ihre Spur verlor sich in der U-Bahn, wo sie sich in einem Zug am Marienplatz mit weiteren siegestaumelnden Mexiko-Fans vereinigten. Ein Video mit grölenden Freudengesängen „Dale, dale, dale, México“ (Schlag drauf, schlag drauf, schlag drauf, Mexiko) zeugt von ihrer ausgelassenen Begeisterung. Deutsche Proteste darüber sind nicht überliefert, dafür sind Tomás, Roberto, Emiliano, Andrés und Alvaro einfach viel zu sympathisch. Bernd kreuels