Moskau – Als ob die 0:1-Niederlage gegen Mexiko und all die damit verbundenen Sorgen nicht schon genug wären: Die Bild-Zeitung hat noch einen Nebenskandalschauplatz aufgemacht. Hat Julian Brandt sich nach dem Schlusspfiff richtig verhalten?
Der Leverkusener war in der 85. Minute´eingewechselt worden und zeigte in der kurzen Zeit seines Mitwirkens eine der besten deutschen Aktionen des Spiels, einen beherzten Schuss, der, so Kollege Thomas Müller, „hauchzart am Pfosten vorbeistrich“. Ein paar Zentimeter fehlten zum Heldentum, doch um sich für weitere Joker-Einsätze zu positionieren, war es keine schlechte Vorstellung.
Es ist im Fußball längst üblich geworden, dass die Mannschaften sich nach dem Schlusspfiff nicht schnurstracke in die Kabine begeben. Schon gar nicht bei einem Turnier in einem fernen Land, zu dem die Fans eine weite Anreise hatten. Auch als Verlierer geht man vor den Block, in dem der Anhang platziert ist. Man dankt für die Unterstützung, so gehört es sich, alles andere wäre Hochnäsigkeit, Ignoranz. So war dann auch Julian Brandt in der Kurve.
Und kurz bevor er mit den anderen im Tunnel in Richtung der Kabinen verschwand, hatte er noch eine Begegnung. Er wurde um ein Foto gebeten. Von einem Jungen in der vorderen Reihe.
Diese direkte Ansprache ist auch nicht mehr unüblich, seit aus ausladenden Leichtathletik-Stadien Fußball-Arenen geworden sind. Fans gehen oft schon mit Plakaten zum Spiel, schriftlich bitten sie die Spieler, ihnen hinterher das Trikot zu vermachen.
Diesen Ansinnen kann ein Fußballer nicht immer nachkommen, oft hat er sein Trikot schon gar nicht mehr – doch ein schnelles Foto, warum nicht? „Grundsätzlich“, erklärt der Bayer-Stürmer, „versuche ich, möglichst viele Wünsche zu erfüllen“. Er war sogar ausgesprochen hilfsbereit: „Ich habe das Handy genommen und für den Kleinen ein Selfie geschossen, das war’s.“
Man kann natürlich etwas hineininterpretieren: Der deutsche Fußballer, den die Niederlage nicht sonderlich anrührt. Der den Ernst der Lage nicht erfasst. Der lieber Markenpflege betreibt. „Brandt lacht in Fan-Kamera. Selfie-Panne direkt nach Mexiko-Pleite“, geiferte „Bild“.
Sich im falschen Moment fotografieren zu lassen – offensichtlich das Thema des Fußballsommers, seit Ilkay Gündogan und Mesut Özil sich mit dem türkischen Präsidenten zeigten und Ägyptens Star Mo Salah mit dem tschetschenischen Statthalter Ramsan Kadyrow. Auch vor vier Jahren in Brasilien hatte es einen Fall von Aufgeregtheit gegeben – als Lukas Podolski sich zu schwer bewaffneten brasilianischen Soldaten aufs Bild stellte. „Sie haben gefragt, ob wir das machen können, und ich hab’s gemacht“, sagte Podolski. Und fragte: „Was ist dabei?“
Das Brandt-Selfie hatte noch weniger Potenzial für Anstößigkeit. Es war einfach ein Dienst am Kunden, vielleicht im nicht idealen Moment. Doch was, wenn Brandt die Ohren auf Durchzug gestellt und das bittende Kind ignoriert hätte? Wäre er das Beispiel für einen Schnösel gewesen, der das Gespür für die Liebe der Fans verloren hat. gük