Moskau/München – An die Bar des Campo Bahia ist es nicht weit. Sie steht jetzt in der Nähe des Dortmunder Hauptbahnhofs, im Prunkbau des Deutschen Fußballmuseums. Ihren Platz dort hat die Theke sich verdient. Sie steht für die Weltmeisterschaft 2014, für ein Quartier und seinen Geist, aus dem im Rückblick der Gewinn des Titels resultierte.
„Das Campo war super“, sagt Joachim Löw auch 2018 noch. Im Rückblick fühlt es sich an, als hätte die deutsche Mannschaft dort Monate zugebracht. Tatsächlich waren die Aufenthaltszeiten in dem Komplex des Münchner Unternehmers Christian Hirmer überschaubar. Vom nächsten Spielort, Salvador, war das Fischerdorf Santo Andrä mit seinen unasphaltierten Straßen 700 Kilometer entfernt; wenn ein Spiel anstand, hat der DFB sich immer schon zwei Tage vorher auf den Weg gemacht. Nach Rückkehr vom 7:1-Halbfinale in Belo Horizonte gegen Brasilien siedelte der Tross nach Rio de Janeiro über und kehrte gar nicht mehr in sein Campo zurück. Doch der Mythos war da schon geboren: ein spezieller Rückzugsort, an dem die Spieler sich auf Wohngemeinschaften verteilten und der Bundestrainer sie so mischte, dass eine Bildung nach Vereinsgrüppchen gar nicht erst stattfand. Dazu der Idyll-Faktor: Palmen, Meer, Sonne. Joachim Löw lief früh am Morgen den Strand entlang – und musste sich nur einmal ärgern: Als er seinen MP3-Player verlor und der ihm in den Ozean gespült wurde.
Palmen, Meer, Idylle? Das 2018er-Camp hat andere Vorzüge
Die deutschen Fußballer waren 2014 der Erstbezieher im Campo Bahia. Die Öffentlichkeit war darob etwas aufgebracht (Motto: Es wird eigens für den DFB gebaut – was so nicht stimmte). Das ist die Parallele von Watutinki, dem Quartier, das die Nationalmannschaft heute beziehen wird, zum Campo 2014: Die Fußballer sind wieder die ersten Gäste. Einer der Unterschiede: Die Russen machten es beim Bauen nicht so spannend wie die Brasilianer. Vor vier Jahren inspizierte DFB-Manager Oliver Bierhoff mit regelmäßiger Bange den Baufortschritt und sagte: „Man muss die Handwerker rauswohnen.“ Diesmal konnte er die Arbeiten entspannt und aus der Ferne verfolgen. Ankündigungen, die landschaftliche Schönheit betreffend, die einen erwarten würde, unterließ er wohlweislich. Watutinki ist ein Dorf im Großraum Moskau. In knapp zwei Kilometern Entfernung hält ein Bus. Es gibt Wälder. Aber keine beruhigende Wasserlandschaft.
„Jetzt haben wir andere Verhältnisse“, erklärt Joachim Löw „Jammern gilt nicht. Vielleicht werden wir auch mal im Stau stehen oder schlechtes Wetter haben.“ Dennoch: „Wir haben die Entscheidung für diesen Standort bewusst getroffen.“ Für den Bundestrainer war wichtig, dass er einen guten Trainingsplatz in der Nähe hat. In Brasilien hatte man selbst einen bauen müssen – wofür ein Genehmigungsprozess durchlaufen werden musste, da die Anlage in ein Naturschutzgebiet gepflanzt wurde. Von Watutinki aus sind es nur fünf Fahrtminuten zum Trainingskomplex von ZSKA Moskau. „Dass wir einen guten Platz haben werden, davon ist auszugehen“, sagte Löw.
In Sotschi hätte man diese Trainings-Bedingungen nicht gehabt. Dafür das Meer. Allerdings hätte der DFB sich dann wie beim Confederations Cup im großen Radisson-Hotel einmieten müssen – und es mit vielen anderen Gästen teilen. Das entspricht nicht dem Konzept bei herausragenden Turnieren. Es hätte noch eine Hotelanlage mit kleineren Häuschen gegeben, dem Campo ähnlich – doch sehr leicht einzusehen von der Uferpromenade, der Lebensader im Sotschi-Stadtteil Adler. Es wäre notwendig gewesen, Abschnitte des Wegs zu sperren – der DFB hatte aber schon die negativen Kommentare vor Augen und verwarf den Plan mit Sotschi. Er wird sich dafür anlässlich des zweiten Gruppenspiels gegen Schweden länger als die übliche Nacht vor dem Match im Schwarzmeerort aufhalten. Nach gut einer Woche Watutinki eine kleine Flucht. Vier Tage.
Der Vorteil des Watutinki: Hier hat der DFB alles zusammen. Im alten Teil der Anlage hat er das Medienzentrum eingerichtet, das neue mit 72 Zimmern steht Mannschaft und Betreuern als „exklusives und autark aufgestelltes Quartier“ zur Verfügung, so der Verband in einer Präsentation. Drum herum sind ein paar Villen – sie gehören einem russischen Ministerium. Zum Flughafen Wnukowo sind es 27 Kilometer, die Fahrt ins Luschniki-Stadion nach Moskau soll weniger als eine Stunde dauern.
Der DFB erspart sich durch Watutinki auch Kosten. Spielt er in Moskau (und das kann im Idealfall drei Mal geschehen), muss er nicht eigens ein Hotel in der Stadt beziehen. Man fährt erst zur Partie los. „In Russland sind die Hotels teuer“, verrät DFB-Kassenwart Stephan Osnabrügge. „Die Schwankungen zwischen den Städten bewegen sich bis zu vierhundert, fünfhundert Prozent“, fügt Oliver Bierhoff an. Vor allem St. Petersburg – dorthin müsste man als Gruppenerster zum Achtelfinale – langt hin. Grundsätzlich gilt: „Watutinki ist billiger als das Campo Bahia“, so Bierhoff, „unsere teuerste Unterkunft war 2010 in Südafrika.“ Das „Velmore Grande Hotel“ wurde aus dem deutschen Fußball-Gedächtnis längst gestrichen. Von seiner Lage ist es mit Watutinki vergleichbar.
„Wir wollen optimale Bedingungen stellen, damit die beste sportliche Leistung abgerufen werden kann“, sagt Stephan Osnabrügge, der Herr der Zahlen (Ausgaben, Einnahmen durch Sponsoring und FIFA-Prämien). Ab Erreichen des Viertelfinales ist der DFB im Plus, „und dann freut sich der Schatzmeister“.