Moskau – Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 war eine unterirdische Angelegenheit. Im Wortsinn. Die FIFA-Zentrale auf dem Züricher Sonnenberg ragt nicht auffällig protzig in die Höhe, gerade einmal zwei Stockwerke. Doch sie ist großzügig unterkellert. Mit sechs Etagen, Kunstlicht, geheimnisvollen Räumen. Im Sitzungssaal (Etage minus 3) steht eine Weltkugel, an ihr klebt Erde aus allen Mitgliedsländern, und es sind über 200. In diesem abgeschlossenen Raum wurden im Dezember 2010 die Entscheidungen finalisiert, die die Fußball-Welt aus den Angeln hoben, die WM-Turniere gingen an Russland und Katar. Rund zwei Drittel des 24-köpfigen FIFA-Exekutivkomitees sind mittlerweile der Korruption überführt worden oder ihrer schwer verdächtig.
Das „Exko“ ist Vergangenheit, an seiner Stelle ein etwas größerer „Rat“ getreten – doch die WM 2026 wird an diesem Mittwoch in Moskau erstmals von der Vollversammlung vergeben. Jeder der 207 nationalen Verbände hat eine Stimme. Der Gedanke dahinter ist: Diese Vielzahl an Stimmen kann sich kein Bewerber kaufen. Und damit ein Verdacht, es werde trotzdem gemauschelt, nicht aufkommt, will die FIFA das Abstimmungsverhalten publik machen. Es wird nachzulesen sein: Wer ist für die United-Bewerbung von USA, Kanada und Mexiko, wer für Marokko? Oder für keinen von beiden? Überwiegt dieses Nein, muss das WM-Turnier 2026 zur Bewerbung neu ausgeschrieben werden.
Diese Transparenz ist ein Fortschritt gegenüber der 2016 ausgeklungenen Ära Joseph Blatter. Doch sie ist kein Verdienst des neuen Präsidenten Gianni Infantino. Die Reform hatte die Verwaltung des Fußball-Weltverbandes ausgearbeitet und dem Kongress 2016 zur Abstimmung vorgelegt. Überhaupt sollte das Amt des Präsidenten neu formatiert werden. Vom Entscheider zum Repräsentanten. Wichtigste Figur fortan: der Generalsekretär. Gianni Infantino wurde im Februar 2016 zum Präsidenten gewählt, ein scheinbar blasser Bürokrat aus dem Personal der UEFA, der dann auf der Bühne des Zürcher Hallenstadions auftrumpfte: Seine Bewerbungsrede hielt er in fünf Sprachen (darunter Arabisch), er sprach davon, den Fußball wieder nach den Interessen seiner „Stakeholder“ (und er meinte Spieler und Fans) auszurichten. Ein paar Tage nach der Wahl lud er zum Betriebskick aufs FIFA-Gelände und holte eine Frau zu sich an die Spitze des Verbandes: Fatma Samoura, eine ehemalige UN-Diplomatin aus dem Senegal. Mehr politische und Gender-Gerechtigkeit ging kaum mehr.
Doch schon bald geriet Infantino ins Schleudern. Er hatte vor allem aus Afrika viele Stimmen gewonnen, weil er versprochen hatte, die Überschüsse der FIFA großzügig zu verteilen: „Es ist euer Geld.“ Er verwies auf seine wirtschaftlichen Erfolge bei der UEFA, auf die Champions League. „Ich weiß, wie es geht“, protzte er.
Den Beweis bleibt er schuldig. Die Einnahmen der FIFA sind eingebrochen, so schlecht ließ sich keine WM der Neuzeit vermarkten wie jetzt die russische. Drei der acht Plätze für globale Exklusivsponsoren blieben frei, von den zwanzig für russische Firmen verfügbaren Spots konnten lediglich vier verkauft werden. Die Rechte werden nun nach Erdteilen aufgeschlüsselt angeboten, ein verzweifelter Sommerschlussverkauf, vor ein paar Tagen feierte die FIFA einen kleinen Abschluss in Asien mit einer Pressemitteilung. Will er nächstes Jahr die Abwahl vermeiden, muss Infantino Geld herbeischaffen.
Daher favorisiert er das United-Bündnis für 2026. Eine WM in drei Ländern lässt sich besser vermarkten als eine in Marokko, dessen Probleme schon jetzt abzusehen wären: Zu wenige Stadien und nicht die Infrastruktur, um eine dann auf 48 Teilnehmer angewachsene WM zu stemmen. Es wäre nach Russland und Katar das dritte Finalturnier, bei dem die Fans die Nase rümpfen.
Infantino hat versucht, Marokko gar nicht erst zur Abstimmung zuzulassen. Er ist nicht der repräsentierende FIFA-Präsident geworden, der er sein sollte. Der Schweizer reagiert das Haus ähnlich wie Blatter, hat unbequeme Personen aus der Ethikkommission entfernt und sich Seilschaften zusammengetrickst. Doch am Sonntag hat ihn der FIFA-Rat, in dem auch DFB-Präsident Reinhard Grindel sitzt, ausgebremst. So gut wie vom Tisch ist Infantinos Geldvermehrungsstrategie, schon in vier Jahren 48 Länder sich für die Endrunde qualifizieren zu lassen, abgeschmettert der Einstieg eines ominösen, wohl aus Saudi-Arabien stammenden Konsortiums, Formate wie Club-WM oder die Nations League zu übernehmen und auszubauen.
Infantino könnte es sogar widerfahren, dass sein 2026-Wunschkandidat United scheitert. Die Weltpolitik liegt außerhalb seines Einflussbereichs, und die jüngsten Entwicklungen spielen ihm nicht in die Karten. Viele werden dem US-Präsidenten Donald Trump eins auswischen wollen (unter 207 Nationen finden sich genügend antiamerikanisch eingestellte), der Twitter-Eklat nach dem G7-Treffen provoziert zudem Brüche in der amerikanisch-kanadischen Beziehung. Wie verlässlich ist dann noch eine Bewerbung dreier Staaten, wenn der wichtigste von ihnen sich mit den beiden anderen zofft?
Fest steht nur: Der FIFA-Kongress wird große Politik machen.