Es gab neulich beim Training diese Szene: Joachim Löw im Gespräch mit Marc-Andre ter Stegen. Worum es ging? Der Bundestrainer berichtete, er habe dem Torwart zu seiner grandiosen Saison mit dem FC Barcelona gratuliert. Aus der Distanz wirkte es aber nicht so, als trage der eine eine Schmeichelei vor, die der andere freudig entgegennimmt. Die Körpersprache von ter Stegen drückte das jedenfalls nicht aus, und als der Trainer ihm zum Abschluss des Austausches die Hand reichte, schaute der Spieler demonstrativ zu Boden. Es dürfte klar sein, worum es tatsächlich gegangen ist: Löw erläuterte ter Stegen, dass er dazu tendiert, Manuel Neuer zur Nummer eins zu machen bei der WM.
Am Samstag, nach diesem Gespräch, fand nun das Spiel in Österreich statt, das für Neuer der Test war, ob es geht oder nicht nach seiner langen Absenz wegen Verletzung. Neuers Leistung wird teils schwärmerisch beschrieben (Seine Ausstrahlung, hach!), ein mehrheitliches Urteil lässt sich unter einem „Sicher sehr ordentlich“ zusammenfassen. In den sozialen Medien war jedoch auch der originelle Satz zu lesen, man solle jetzt nicht tun, „als hätte Neuer die Erde vor einem Meteoriteneinschlag gerettet“, und das trifft die Sache gut: Es war eine in Anbetracht der Umstände ansprechende Leistung – so, wie sie Manuel Neuer bringen muss, wenn er die WM spielen will. Doch war sie besser als das, was ter Stegen nicht einmal, sondern nahezu konstant über die gesamte Saison abgeliefert hat?
Die Krux für Joachim Löw: Manuel Neuer ist zu spät wieder spielbereit geworden, es fehlen einfach einige Wochen Matchpraxis, die es erlauben würden, seine Performance 2017/18 mit der des Konkurrenten aus der spanischen Liga zu vergleichen.
Bei der Besetzung eines Weltmeisterschafts-Kaders, in der Elitegesellschaft DFB-Team, muss das Leistungsprinzip zählen. Wenn Joachim Löw nun Manuel Neuer als die Nummer eins ausruft, so kann sich das im Verlauf der Geschichte noch als richtig herausstellen, doch aktuell folgt er einem schwammigen Leistungserwartungsprinzip. Das auf dem Verdienstprinzip basiert.
Man muss verstehen können, dass Marc-Andre ter Stegen das nicht verstehen kann.