Klagenfurt – Wer am Samstag in Klagenfurt beim Fußball war, konnte neue Erkenntnisse gewinnen.
Zum Beispiel: Der Wörthersee ist 16,5 Kilometer lang. Das österreichische Wort „Balankern“ ist ein Synonym für Tischfußball spielen. Oder ein bisschen Kick-Historie: Der Kapitän der Mannschaft von Cordoba 1978 hieß Robert Sara.
Das alles wurde im Wörtherseestadion abgefragt. Über die Videowände lief eine Quizfrage nach der anderen, weil das „freundschaftliche Länderspiel Österreich gegen Deutschland“, so die Plakatierung in der Stadt, sich wegen der Wetterunbillen immer wieder verzögerte. Die Zuschauer, die halbwegs trocken saßen, in ihrem Bereich bleiben konnten und mitrieten, lernten was.
Und auch die Spieler gelangten zu neuen Einsichten. Marko Arnautovic ist sich nach dem 2:1-Sieg über Deutschland („Wir waren besser“) sicher, „dass wir am Reifen sind und es für die nächsten Turniere gut ausschauen wird“ (dumm nur, das die WM 2018 ohne Österreich stattfindet, große Offensive dann wohl ab der EM 2020). Die Deutschen mussten aus dem Abend mitnehmen, dass sie derzeit nicht die Souveränität haben, mit der ein Weltmeister in das Projekt Titelverteidigung starten sollte.
Richtig ist: Es gibt eine Tradition, dass das Vorbereitungsspiel, das in ein Trainingslager hinein platziert wird oder unmittelbar nach seinem Ende stattfindet, verpatzt wird. „Wir wissen, wie holprig das sein kann. Wir haben auch viel gearbeitet, waren nicht frisch, das Wetter war eines der Hindernisse, auch, dass wir erst am Spieltag angereist sind“, erklärte Sami Khedira, der die erste Halbzeit spielte, in der die deutsche Mannschaft noch geordnet auftrat und 1:0 führte. Danach entwickelte sich ein anderer Eindruck. Einer, den Bundestrainer Joachim Löw zusammenfasste: „Wenn wir so spielen, werden wir in Russland keine Chance haben.“
Er glaubt natürlich, dass es nicht soweit kommen wird. „In zwei Wochen wird die Mannschaft ganz anders präpariert sein, ich werde keine schlaflosen Nächte verbringen. Wir lassen uns nicht verrückt machen und bleiben ruhig“, sagt Löw. Jedoch ist ihm bewusst: Es gibt „eine Menge aufzuarbeiten“, nachdem er „selten eine so eigenverschuldete Niederlage durch so eine Spielweise erlebt“ hat. Er führte aus: „Ballverluste im Minutentakt. Alle waren von ihren Möglichkeiten ein bisschen entfernt.“ Von den Feldspielern habe sich eigentlich „keiner empfohlen“.
Was so alles auffiel: hohe Fehlerdichte bei den Außenverteidigern Kimmich und Hector. Mit Rudy und Goretzka im zentralen Mittelfeld hatte die deutsche Elf in der zweiten Halbzeit viel weniger Zugriff auf den Gegner als in der ersten mit Sami Khedira und Ilkay Gündogan. Leroy Sané eroberte sich eifrig etliche Bälle in der defensiven Zone, baute schnelle Konter auf, lief aber zielstrebig in österreichische Spielergruppen hinein, in denen er den Ball verlor. Julian Brandt nahm keine der Abschlussmöglichkeiten an, die sich ihm boten, Nils Petersen zeigte in seinen 76 Minuten nichts von dem, was Joachim Löw an Qualität an ihm ausgemacht hatte (trotzdem meinte er hinsichtlich der Nominierung: „Meine Zuversicht ist nicht anders als vor dem Spiel“).
Mesut Özil und Ilkay Gündogan zählten zu den besseren Akteuren im DFB-Team, Özil war der Schütze des 1:0, nachdem die Deutschen die Österreicher um Torwart Jörg Siebenhandl unter Druck gesetzt und zu einer Fehlerstafette gezwungen hatten. Aber: Sie wurden von der deutschen Kurve ausgepfiffen. „Wir haben das mitbekommen, wir sind doch nicht taub“, bestätigte Sami Khedira, dass die Reaktion der Fans auf die beiden Mitspieler ein Thema in der Mannschaft ist. Sieht so aus, als habe sich die breite Öffentlichkeit von der Kommunikationsstrategie nach dem Erdogan-Treffen der beiden Nationalspieler nicht beeinflussen lassen. Gündogan sang sogar die deutsche Nationalhymne mit – als müsse er seine Glaubwürdigkeit als deutscher Nationalspieler so untermauern.
In einer Welt voller Seligkeit lebt derweil der österreichische Fußball. 32 Jahre lag der letzte Sieg gegen die Deutschen zurück – jetzt hat die Geschichte einen neuen Eintrag bekommen. „Da wird man bei den Deutschen sicher sagen: Das war nicht die erste Elf, die Spieler haben nicht hundert Prozent gegeben, weil sie sich nicht verletzen wollten“, stichelte der Exzentriker Marko Arnautovic. Trotzdem seien die Österreicher „alle glücklich“.
Das Team feierte im fünften Spiel unter seinem deutschen Trainer Franco Foda den fünften Sieg. „Wir spielen Auspowern bis zum Gehtnichtmehr“, sagt der beim FC Bayern ausgebildete Alesandro Schöpf. Die Berichterstattung rund um die Mannschaft ist überaus freundlich und nicht nur emotional, sondern analytisch. Die Neue Vorarlberger Zeitung lobt das „situationselastische“ Agieren unter Foda. 1:0 gegen Russland, 2:1 gegen Deutschland, nun steht (am Sonntag) noch das letzte „freundschaftliche Länderspiel“ vor den Sommerferien an: in Wien gegen Brasilien. Österreich hat dieser Dreier-Serie zu seiner „Mini-WM“ erklärt. Bei der richtigen WM fehlt es ja.
Die verfolgt es dann aus der Ferne. Marko Arnautovic sagt: „Ich glaube, dass Deutschland trotzdem Favorit bleibt.“