Und jetzt die Welle reiten

von Redaktion

Es hätte wohl keinen besseren Zeitpunkt geben können. „Ein weiteres Mosaiksteinchen“, nennt es Georg Clarke. Als Präsident des Landesverbandes BHV hat er gerade das „Jahr des Handballs“ für Bayern ausgerufen, am 6. Juni wird es zwei Länderspiele in München geben, Anfang Januar 2019 dann sogar Gruppenspiele der Weltmeisterschaft. In einer Region, die als Handball-Diaspora gilt. Gilt? Galt müsse man wohl bald sagen, Andreas Walter jedenfalls war noch selten so optimistisch wie jetzt, dass die dürren 25 Jahre seit dem Niedergang des TSV Milbertshofen und des MTSV Schwabing bald ein Ende haben könnten. Ab September nämlich wird in München wieder Bundesliga-Handball gespielt. Zwar „nur“ Jugend-Bundesliga, aber wer hätte selbst daran zuletzt geglaubt?

Walter ist Vorstand der „Handball-Akademie Bayern“ und was er mit seinen Jungs nun geschafft hat, nötigt auch Clarke höchsten Respekt ab. Die A-Jugend der Akademie, die zuvor nie am Spielbetrieb teilgenommen hat, hat sich auf Anhieb für die Bundesliga qualifiziert, in Qualifikationsturnieren selbst Nachwuchsteams von Erst- und Zweitligisten aus dem Weg geräumt. „Das konnte man so wirklich nicht erwarten“, lobt Clarke, der dem Münchner Team mit einer „wildcard“ die Teilnahme überhaupt erst ermöglicht hatte. Weil auch ihn schmerzte, dass die Region um München zwar viele Talente hervorbringt, die aber, um sich weiterentwickeln zu können, ihre Heimat verlassen mussten, mangels Möglichkeiten.

Angst, die Talente zu verlieren, war groß

Aus dem Raum München waren mal der TSV Ismaning und die HSG Würm-Mitte in der Jugend-Bundesliga vertreten, beide aber konnten sich nicht halten. Weil man es nicht geschafft hat, die Kräfte zu bündeln. Clarke spricht vom „Konkurrenzdenken der Vereine“, es habe zwar immer wieder tolle Bekenntnisse gegeben, letztlich aber „kochte doch wieder jeder sein eigenes Süppchen“. Die Angst war zu groß, Talente, die man ausgebildet hat, an den Nachbarverein zu verlieren. „Dabei geht ein Guter sowieso irgendwann“, an die Junioren-Akademie des TV Großwallstadt, oder, was Clarke als bayerischen Präsidenten mehr schmerzt, nach Berlin, Baden-Württemberg oder ein anderes der etablierten deutschen Nachwuchszentren.

„Jetzt können sie in ihrer Heimat bleiben“, Andreas Walter, selbst mal Handballer beim TSV Milbertshofen, sieht im Aufstieg seiner Jungs „nur Vorteile für die Region. Talente wandern nicht mehr ab, Trainer können sich was von unserem Training abschauen, Vereine von unserem Know How profitieren, der Handball in München bekommt wieder einen anderen Stellenwert.“ Vor gut vier Jahren war die Akademie noch angetreten, um begabten Handballern aus den Klubs in und um München, die aus der Verbands-Förderung gefallen waren, ein qualifiziertes Zusatztraining zu bieten und sie nicht nur sportlich, sondern daneben auch schulisch und beruflich vorwärtszubringen. Die Teilnahme am Spielbetrieb hatte man ausdrücklich ausgeschlossen, man wusste ja, wie empfindlich die Vereine reagieren können.

Mit seriöser Arbeit hat die Handball-Akademie Vertrauen gewonnen, nun war man so weit, zu sagen, es reiche auf Dauer nicht, nur auf höchstem Niveau zu trainieren, die Jungs, so Clarke, „sollten auch zeigen können, was sie draufhaben“. Das aber funktionierte, mangels Spielklasse, kaum im eigenen Verein, also startete man den Versuchsballon „Bundesliga“ mit einer Mannschaft der Akademie. „Wie sie sich gegen Teams gerade aus Württemberg, wo eine hohe Leistungsdichte herrscht, durchgesetzt hat, lässt hoffen“, sagt Clarke, der als BHV-Präsident das Projekt mit Wohlwollen begleiten wird, viel mehr geht allerdings nicht: „Als Verband sind uns da die Hände gebunden.“

Sogwirkung für den Handball der Region

Walter aber spürt viel Unterstützung, mit Vereinen wie dem MTSV Schwabing, dem SV 1880, dem TSV München-Ost, der HSG Isar-Loisach, dem TSV Trudering, der FTM Süd und der FTM Blumenau kooperiert man schon länger, auch die Handball-Abteilung des FC Bayern zählt zu den Partnern. Die Bundesliga habe nun „eine Sogwirkung für den gesamten Handball in der Region“, jeder sehe jetzt, „es geht doch!“ Walter ist noch immer fasziniert vom entscheidenden Qualifikationsturnier, das in Grünwald ausgetragen wurde, „vor vielen Zuschauern, vor vielen Handball-Experten und -Trainern“, man habe viel positive Resonanz, Lob und Zuspruch erfahren, viele hätten sich angeboten, zu helfen, wenn es dann im September losgeht mit dem Abenteuer Bundesliga. „Jeder der elf Spieltage wird zu einem Event werden“, verspricht Walter, Handball in München soll wieder salonfähig sein, dafür wolle man im ersten Jahr „mindestens Platz sechs erreichen“. Das Team habe bewiesen, „dass das kein utopisches Ziel ist, gerade auf der Torhüter-Position sind wir optimal besetzt, mit drei gleichwertigen Keepern, die aus unserer Torwartschule kommen und wie Pech und Schwefel zusammenhalten.“ Es gehe darum, München langfristig in der Bundesliga zu halten.

Wenn Walter spricht, spürt man die Euphorie, die ihn, die das ganze Projekt trägt. 25 Jahre nach dem Absturz des TSV Milbertshofen aus der Bundesliga, soll der Münchner Handball aus seinem Dornröschenschlaf wachgeküsst werden. Auch für Georg Clarke das lang ersehnte Licht am Ende des Tunnels: „Die letzten zwei Jahrzehnte ist in München nichts mehr passiert, jetzt hat man die Chance, wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.“ Durch die Bundesliga, mit der WM, mit dem „Jahr des Handballs“. Dominik Klein, den Weltmeister von 2007, hat man als prominenten Paten gewonnen, mit seiner Gattin Isabell, die unter ihrem Mädchennamen Nagel in Ismaning zur Nationalspielerin reifte, hat er sich in der Region niedergelassen, mit ihr will er hier werben „für diese geile Sportart“.

Das ist erst einmal der Ansatz. Dass man demnächst anknüpfen könnte an glorreiche Zeiten, als Milbertshofen und Schwabing die Rudi-Sedlmayer-Halle füllten, glaubt Clarke genauso wenig wie Walter. „Männer-Handball ist wieder eine ganz andere Kategorie“, sagt Walter, dafür bräuchte man eine geeignete Halle und einen großen Sponsor, „Handball“, sagt Clarke, „liegt bei den Bundesliga-Etats in Deutschland hinter Fußball an zweiter Stelle, noch vor Basketball.“ Jetzt gehe es erst einmal darum, die Kinder auch in München wieder zum Handball zu holen, zu begeistern, zu fördern und ihnen eine Perspektive zu bieten. Walter sagt, „mit der Jugend-Bundesliga können wir den 12-, 13-Jährigen ein Ziel geben, auf das es sich lohnt, hinzuarbeiten.“

München muss nicht Diaspora bleiben

In unmittelbarer Nachbarschaft, in Erding, reifen gerade Pläne für ein Handball-Internat durch einen privaten Investor, das wäre für Walter ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Der Verband wird versuchen, den Handball als weitere Disziplin an die neue Eliteschule des Sports im Münchner Norden zu bringen, bisher scheiterte es daran, dass es keine hochklassigen Spielmöglichkeiten gab. Dafür aber viele Talente, das hat der sensationelle Aufstieg der Handball-Akademie in die Bundesliga bewiesen. Immer wieder spielen auch die bayerischen Auswahlteams eine sehr gute Rolle im deutschlandweiten Vergleich. Ohne ein Nachwuchsleistungszentren, das Handball-Bundesligisten seit knapp zehn Jahren ähnlich wie die Profiklubs im Fußball führen müssen, ist der südbayerische Raum aber im Hintertreffen.

Walter sieht es nicht in Stein gemeißelt, dass die Region München Handball-Diaspora bleiben muss, in Fürstenfeldbruck gibt es immerhin schon einen stabilen Drittligisten. Nun müsse man halt die Chance nutzen, die das „Jahr des Handballs“, die eine Jugend-Bundesliga bietet. „Jetzt wollen wir auf die Welle aufspringen und sie reiten“, fordert er, jetzt müsse man die Kids gewinnen, „für den Sport allgemein und speziell für den Handball“. Und vielleicht hat diese „geile Sportart“ ja doch mal wieder eine Chance in München. Ein erster Schritt ist getan, auch wenn es vorerst nur ein Mosaiksteinchen sein sollte.

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