München – Die Offerte kam nicht ganz überraschend. Bernd Eisenbichler, der aus Siegsdorf stammende Biathlon-Sportdirektor des US-Teams, hatte Michael Greis schon im Winter angesprochen. Der Allgäuer hatte sich zuvor als Nachwuchscoach vom Biathlon-Stützpunkt Ostschweiz in Lenzerheide verabschiedet, befand sich also auf Jobsuche. Im April unterschrieb der 41-Jährige einen neuen Vertrag – und zwar als Cheftrainer der US-Skijäger. „Heutzutage muss man flexibel sein“, sagte Greis zu der doch überraschenden Veränderung.
Im Gegensatz zum Beispiel zu Ricco Groß, der zuletzt die Russen trainiert und künftig bei Österreichs Biathleten das Sagen hat, ist Greis eher ein Quereinsteiger im Trainerberuf. Mit drei olympischen Goldmedaillen (Turin 2006) und einem Weltcup-Gesamtsieg (2007) hat der Nesselwanger zwar funkelnde sportliche Meriten vorzuweisen, den üblichen deutschen Weg über die Kölner Trainerakademie schlug er jedoch nicht ein. Sondern widmete sich zunächst einem Wirtschaftsstudium. Seine Erfahrungen als Coach beschränken sich somit auf die eineinhalb Jahre in der Schweiz. Ein Nationalteam hat er noch nicht trainiert.
Mit Bailey und Burke verabschiedeten sich die Spitzenkräfte
Dabei steht Greis allein schon insofern vor einer beträchlichten Herausforderung, als er nun ein Team übernimmt, das mitten in einem radikalen Umbruch steht. Mit Lowell Bailey (36), Einzel-Weltmeister von 2017, und Tim Burke (36), Einzel-Vizeweltmeister von 2013, beendeten die beiden mit Abstand besten US-Biathleten ihre Karrieren. Der einzige verbliebene Akteur, der sich auf international höherem Niveau zumindest schon achtbar geschlagen hat, ist somit Sean Doherty, 36. des Gesamtweltcups in der Saison 2017/18.
Greis ist dennoch frohen Mutes. Von seiner ersten Stippvisite im Biathlon-Trainingszentrum von Lake Placid kam er mit der Kunde zurück: „Meine Eindrücke sind sehr positiv.“ Besonders imponiert hätten ihm die jungen, nachrückenden Sportler. „Die glauben alle an sich, die trauen sich alle was zu. Da kommt nie ein Selbstzweifel auf. Das ist eine gute Einstellung“, sagt der Chefcoach, „in den ersten Trainingseinheiten hat man auch gesehen, dass sich die nicht in einer Komfortzone bewegen. Das sind alles gute Voraussetzungen.“
Für den kommenden Winter wurden vier Athleten für das Eliteteam nominiert sowie vier für das sogenannte Entwicklungsteam. Die Ex-Biathleten Tim Burke, der mit der deutschen Olympiasiegerin Andrea Henkel verheiratet ist, und Lowell Bailey sind als Nachwuchs-Trainer an den Stützpunkten im Einsatz. Greis wird künftig regelmäßig zwischen Deutschland und den USA hin- und herpendeln und pro Monat zwei Wochen in den Trainingszentren von Lake Placid und Salt Lake City verbringen. „Die Konstellation taugt mir ganz gut“, sagt er zu seinem neuen beruflichen Umfeld.
Auf konkrete Ziele wollte sich Greis, der seine Arbeit ja am Beginn eines vierjährigen Olympia-Zyklus aufnimmt, noch nicht festlegen. „Wir wollen die Jungs besser machen“, sagt er, „wir wollen das Training so professionalisieren, dass sie ihre beste Leistung bringen können.“ Ihm ist allerdings auch klar, dass irgendwann vorzeigbare Leistungsbeweise fällig sind. „Langfristig ist das Ziel, Bailey und Burke als Spitzenkräfte zu ersetzen. Ob da aber dann auch ein Weltmeister rauskommt, wie Bailey 2017 in Hochfilzen, kann man nicht voraussagen. Das wird natürlich schwierig.“
Der Neuanfang der Amerikaner wird also nicht ganz einfach werden. Allerdings befindet sich der Biathlonsport an sich in einer noch weitaus kniffligeren Lage. Derzeit stehen Weltverbands-Präsident Anders Besseberg (Norwegen) und seine deutsche Generalsekretärin Nicole Resch im dringenden Verdacht der Bestechlichkeit und Dopingvertuschung. „Man muss jetzt extrem aufpassen, dass die Glaubwürdigkeit gewahrt bleibt“, betont Greis. Auch wenn er meint: „Als früherer Athlet weiß ich, dass die meisten Jungs sauber sind. Schwarze Schafe sind natürlich immer dabei.“ Allerdings merkt er auch an: „Vetternwirtschaft wird es immer geben. Die Frage ist halt immer: Wie unterscheidet man Vetternwirtschaft von Korruption?“ Ein Satz, den sich auch die hohen Funktionäre zu Herzen nehmen sollten.