Heynckes’ Rausch bleibt aus

von Redaktion

Die lästige Pflicht der Meisterfeier als letzte Amtshandlung

Berlin/München – Wer 73 Jahre alt ist, hat nicht nur eine Menge Lebenserfahrung, sondern auch ein gutes Gefühl für sein Gefühl, und dieses hatte Jupp Heynckes auch im Laufe der vergangenen Woche nicht getäuscht. Als der Bayern-Trainer am Tag vor dem Pokalfinale darauf hingewiesen hatte, dass ein Sieg seiner Mannschaft kein Selbstläufer sei, hatte er in ungläubige und teils grinsende Gesichter geblickt. Als er den Satz auf der letzten Pressekonferenz seiner Karriere noch einmal aufgriff und hinterher schickte „ich wurde belächelt“, zuckte kein einziges Gesicht. Man blickte ihn, den so lange Überragenden, an diesem Tag aber Unterlegenen, an, und wusste nicht genau, was man empfinden soll: Respekt? Wehmut? Anerkennung? Mitleid?

Karl-Heinz Rummenigge sprach später, auf dem Bankett in Berlin, stellvertretend: „Der Einzige, der mir heute leidtut, ist Jupp.“ Und beim Bild, das sich auf der Bühne der Verlierer-Party bot, konnte man dem Vereinsboss zumindest kurzzeitig zustimmen. Da stand Heynckes neben seinen Spielern, deren Köpfe hingen, als Einziger bemüht, die Fassung zu bewahren. Er ließ es über sich ergehen, dass die geladenen Gäste angeführt von Rummenigge ihre „Jupp, Jupp, Jupp“-Schals in die Höhe reckten und „Time to say Good Bye“ anstimmten, genau wie er auch am Pfingstsonntag den Gang auf den Rathausbalkon überstand. Er war aber mindestens genauso froh, als die Lobhuldigungen seiner vierten Amtszeit – Rummenigge: „Großartiger Trainer und Mensch“, Hoeneß: „Jupp hat unsere Werte zurückgebracht“ – vorbei waren und er sich die Lederhose vom Leibe streifen konnte. Dieses allerletzte Wochenende seiner bewegenden Karriere war nicht so verlaufen, wie er und alle anderen Münchner es sich vorgestellt hatten.

Er wollte als Double-Gewinner gehen und verlässt München als Single. Und mit der Frage im Gepäck, ob dieser Umstand sein so erfolgreiches Wirken wirklich in ein anderes Licht rücken kann.

Sie wird noch einige Zeit nachhallen, und sie weckt Erinnerungen an das letzte Finale der Bayern in Berlin. Damals, 2016, verließ Pep Guardiola die große Bayern-Bühne als strahlender Sieger, der Endspurt des Spaniers hatte eine gegenteilige Wendung genommen als jene, die Heynckes nun widerfahren ist. Monatelang war der damals scheidende Coach kritisiert worden, hintenraus weinte man ihm nach. Heynckes hingegen blieb auf den letzten Metern der Erfolg verwehrt, dem ihm jeder gegönnt hätte.

„Zu einem Sportlerleben gehören Siege, aber auch Niederlagen“ – das war der Satz, den der Coach in jedes der zahlreichen Mikrofone sprach, die ihm an diesem Pfingstwochenende vor die Nase gehalten wurden. Er klang weise, gleichzeitig traurig wie gefasst, und irgendwie auch so wie eine Botschaft an alle, die nun nach ihm kommen werden. Er selbst sucht ab sofort „Abstand“, denn mit 73, sagte er, „weiß man nicht, wie viel Zeit man noch zu leben hat“. Wieder so eine Aussage, die daran erinnerte, dass es im Leben doch anderes gibt als: Fußball. hanna raif

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