Gefühlter Riesen-Riesen-Mist

von Redaktion

Im Saisonendspurt war beim FC Bayern der Stecker raus – ein Titel ist nicht nur Müller zu wenig

VON ANDREAS WERNER

Berlin – Vielleicht war es die Macht der Gewohnheit, aber ein paar Minuten nach dem Abpfiff standen die Stars des FC Bayern unter dem Bogen, unter dem sich die Final-Helden ablichten lassen. „DFB-Pokalsieger 2018“ war dort zu lesen, und man sah Thomas Müller mit leerem Blick, Rafinha grübelnd, David Alaba zu Boden stierend. Manuel Neuer hielt sich an dem Bogen fest, neben seiner Hand war das Emblem von Eintracht Frankfurt aufgedruckt. Die Stars des FC Bayern wirkten in dem Moment nicht nur deplatziert, sie waren es. Als Pokalsieger wurden kurz darauf die Hessen verewigt.

Die Münchner entschwanden schnell nach der Siegerehrung in die Katakomben. Nur Neuer klatschte Beifall, als sich über den Frankfurtern mit ihrem Pokal die Konfettikanonen entleerten. Die Debatte, den Sportsgeist mit Füßen getreten zu haben, beschäftige sie kaum. Nachhaltiger schwingt eh die Frage mit, wie es sich in Zukunft mit der Macht der Gewohnheit verhält, wenn es um große Spiele, um Titel geht. Zuletzt wurde am Mia-san-mia-Selbstverständnis gerüttelt.

„Dieses Finale ist ein Abklatsch unserer Niederlagen“

Man solle nicht allzu kleinlich sein wegen der entfallenen Ovationen, meinte Mats Hummels. „Wir wurden reingeleitet, es war niemand da, der gesagt hat, dass wir bleiben müssen. Der eine hat den Anfang gemacht, alle anderen sind wie die Entenfamilie hinterhergedackelt.“ Das sei keine böse Absicht gewesen und kein Zeichen der Respektlosigkeit. Im Übrigen, merkte er nicht ganz unrichtig an: „Ich glaube, die Frankfurter freuen sich nicht weniger, wenn wir nicht daneben stehen.“

Die Fairness-Debatte war damit glaubhaft ausgeräumt, doch die tiefer gehende Problematik während des 1:3 gegen Frankfurt war eigentlich eine andere. Wie die Entenfamilie hatten die Bayern auch in den 90 Minuten gewirkt. „Ein bisschen selbstkritisch“ müsse man da schon sein, sagte Karl-Heinz Rummenigge tags darauf beim Abschied auf dem Rathausbalkon, „ein bisschen zu wenig Leidenschaft“ sei das in Berlin gewesen. Beide Sätze vertragen einen Einsatz des Rotstifts. „Ein bisschen“ lässt sich zum Wohle der Realität bei beiden Formulierungen streichen.

Man werde sich die Saison jetzt nicht schlechtreden lassen, sagte Uli Hoeneß, aber er habe das Gefühl gehabt, „dass nach dem Aus in der Champions League bei uns die Luft raus war“. Das sei vergleichbar mit einem Radprofi, meinte Thomas Müller: Der fokussiere sich auf die Tour de France als Saisonhöhepunkt, und genauso sei es bei Bayern gewesen. „Wir hatten viel in den April hineingelegt, hatten fünf Superwochen – aber mit dem Madrid-Spiel wurde uns der Stecker gezogen.“

Ein Reifenplatzer auf der Champs Elysées, ohne Flickzeug, und vor dem finalen Klassiker in Berlin haben sie auch nicht mehr alles reparieren können. „Wir hätten das Madrid-Spiel professioneller abstreifen müssen“, meinte Müller, der am Samstagabend seine miese Laune überaus wohltuend authentisch zusammenfasste: „Jetzt fühlt es sich absolut an wie eine Riesen-Riesen-Niederlage, wie ein Riesen-Riesen-Mist.“ Die Meisterschaft sei ja bereits im Februar eingetütet gewesen. „Dieses Finale ist ein Abklatsch unserer Niederlagen.“

Hoeneß schließt Transfers für 100 Millionen aus

Da sprach merklich die Enttäuschung aus dem Nationalspieler, denn so viele Niederlagen haben sich die Bayern ja nicht erlaubt. Allerdings entscheidende, die sich auf dem Briefbogen bemerkbar machen. „Ein Titel ist für diese Saison auf jeden Fall zu wenig“, meinte Müller, womit er nicht alleine dastand. „Im nächsten Jahr stehen wir hier mit mehr als nur einem Titel“, rief Arjen Robben den Fans vom Rathausbalkon zu – Jupp Heynckes war in dem Moment nicht anzusehen, was er dachte. Er hatte einst im Sommer 1990 an gleicher Stelle ebenfalls ein gewagtes Versprechen abgegeben; der verheißene Titel in Europas Eliteliga wurde mit zehn Jahren Verspätung eingefahren.

Es waren andere Zeiten damals, doch auch die aktuellen haben es bekanntlich in sich. Die Bayern vertrauen weiter auf ihre hausgemachten Stärken. In Niko Kovac kommt ein Freund der Familie als Trainer, und auf millionenschwere Transfers werde verzichtet, erklärten die Bosse. Rummenigge schloss für die Zukunft zwar einen Zukauf in Höhe jenseits der 80 Millionen Euro nicht aus, doch Hoeneß präzisierte: „Stand heute werden wir keine Spieler mehr verpflichten, sondern eher abgeben. Und einen 100-Millionen-Transfer werden wir dieses Jahr nicht machen. So, wie wir jetzt aufgestellt sind, sind wir gut gerüstet.“ Man müsse das vorhandene Personal nur „dazu bringen, besser zu spielen“.

Damit man nicht erneut so deplatziert herumsteht.

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