Die durchchoreografierte Entschuldigung

von Redaktion

Warum Mesut Özil und Ilkay Gündogan, DFB und Bundespräsident Interesse an einer schnellen Aufarbeitung des Erdogan-Eklats hatten

Von Günter Klein

München – Für einen Körpersprachedeuter eine höchst interessante Szenerie: Ilkay Gündogan und Mesut Özil treffen den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier vor dessen Amtssitz, Schloss Bellevue, sie richten den Blick auf den höchsten Repräsentanten des deutschen Staates, die Arme haben sie hinter dem Rücken verschränkt, sie setzen einen Fuß vor den anderen. Man könnte es so interpretieren: Die beiden Fußballer wirken ein wenig verlegen.

Dass sie am Samstag mit dem Bundespräsidenten zusammengetroffen sind, war für die Öffentlichkeit fast so überraschend wie die Begegnung der in England tätigen Profis in London bei der Veranstaltung einer Stiftung mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der Aufreger der Woche, dessen Aufarbeitung eigentlich für die Zeit ab dem 23. Mai angesetzt war. Da beginnt das WM-Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft in Eppan an der Weinstraße. „In Südtirol“, hatte Bundestrainer Joachim Löw bei der Verlautbarung seines Kaders am Dienstag in Dortmund angekündigt, „werden wir mit ihnen über ihre Aktion reden.“

Dazu kam es eher: Özil und Gündogan setzten sich vor dem Pokalfinale in Berlin mit Löw, DFB-Manager Oliver Bierhoff und Verbandspräsident Reinhard Grindel zusammen. Und traten anschließend beim Bundespräsidenten an. Der DFB vermeldete: „Sie haben ihren Urlaub unterbrochen“, Gespräche und Besuch seien „auf eigenen Wunsch“ zustande gekommen. Zitiert wurde Grindel: „Sie wollten persönlich die Irritationen ausräumen.“

Auf manche Beobachter wirkte die Entschuldigungs-Tour von Özil und Gündogan durchchoreografiert. Der DFB sorgte dafür, dass ein Fotograf zur Stelle war im Hotel und beim Bundespräsidenten – und dass die Bilder weiterverbreitet wurden.

Wohl bewusst sollten die beiden Spieler auch anders auftreten als vor Erdogan. Also kamen sie nicht so offiziell gewandet, ohne Sakko, im legeren, aber ordentlichen Freizeitlook, keine Flippigkeiten. Mesut Özil hatte die Schnürsenkel seiner Sportschuhe gebunden. Gündogans Bart sah nicht mehr so AKP-Fanboy-mäßig aus wie neulich. Klar: Dem Erdogan-mit-türkischen-Fußballern-Bild musste ein Steinmeier-mit-deutschen-Fußballern-Bild entgegengesetzt werden. Ex-DFB-Kapitän Philipp Lahm bei Sky mit Übersetzung in die Fußballsprache: „Sie haben einen groben Fehlpass gespielt und versuchen, den Ball zurückzugewinnen.“ Mögen die Leute entscheiden, welche sie für die stärkere Aktion halten, die glaubwürdigere.

Fraglos haben Özil und Gündogan durch den Auftritt bei Erdogan erst einmal an Reputation verloren. Eine Umfrage des Meinungsforschungsintituts Civey ergab als Resultat: 82,9 Prozent sahen das Ansehen der Nationalmannschaft und von Özil/Gündogan beschädigt. Gegenstimme: Der „Spiegel“ verteidigte in einem Essay Özil als „heimatlosen Globalisten“, er und Gündogan hätten es wohl als cool empfunden, Erdogan zu treffen.

Es bestand allseitiges Interesse, aus dem Thema den Druck zu nehmen. „Wir haben lange gesprochen, über Sport, aber auch über Politik“, heißt es in der Erklärung von Steinmeier. „Beiden war es wichtig, entstandene Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.“ Gündogan sagte: „Nach all den Berichten in dieser Woche bin ich froh, dass wir uns persönlich aussprechen durften.“

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