Die Psychologie der Playoffs

von Redaktion

Beim Finalduell zwischen München und Berlin kommt es nicht nur auf die Taktik an

Von Günter Klein

München – Triumph oder Enttäuschung – in Berlin ist der Torjingle die Chiffre für die Befindlichkeit der Eisbären. Haben sie getroffen, ertönt ein „Berliiiiin, halleluja, Berliiiiin“. Bei Gegentoren nur ein frustriert-ärgerliches „Oh no“.

Auch im Verlauf der Finalserie (Best of Seven) um die Deutsche Meisterschaft wechselt die Gefühlslage. Berlin startete mit dem Hoch eines Auswärtssiegs, dann konterte München mit einem Auswärtssieg. Aus EHC-Sicht 3:4 und 5:4. Ausgeglichen 1:1 geht es ins dritte Spiel am Mittwoch (19.30 Uhr) in München. Im zweiten Spiel begegnete der EHC dem taktischen Konzept der Eisbären viel geschickter und konnte wieder sein Forechecking aufziehen – doch vieles entscheidet sich nicht an der Taktiftafel und durch die (annähernd gleiche) spielerische Qualität der Mannschaften, sondern im Kopf.

Erfahrung

Wer von außen auf eine Playoff-Serie blickt, meint, die Beteiligten müssten vor Nervosität zerfließen und unter dem Druck zerbrechen. Die Spieler selbst nehmen das nicht so wahr. Auch Teams wie der EHC München, die eine Liga die Saison über dominieren, sind Niederlagen soweit gewöhnt, dass sie sie nicht als Schockerlebnisse wahrnehmen. Von 52 Spielen der Hauptrunde verlor der EHC 15. „Das Wichtigste ist: Nach einer Niederlage den Kopf nicht so tief hängen lassen, nach einem Sieg nicht zu euphorisch sein“, benennt Yannic Seidenberg seinen Grundsatz. Sein Trainer Don Jackson meint, Druck sei nicht mehr als Alltagserfahrung: „Wir haben Spieler, die viel gewonnen haben – und die zuvor auch schon am Boden gewesen sind.“ Der frühere Nationalspieler und heutige TV-Kommentator Rick Goldmann nennt die Eishockeyspieler „Verdrängungskünstler“ – sie leben nicht in der Vergangenheit, sondern blicken voraus. Der Fußballer-Grundsatz „Von Spiel zu Spiel“ zu denken, wird im Eishockey verkürzt auf „from shift to shift“. Man hat den nächsten 40-Sekunden-Einsatz im Kopf – und den Job, den es dabei zu erledigen gilt.

Die Battles

„Wir haben einige ,battle situations’ verloren“, meinte Don Jackson in der Nachbetrachtung des 3:4 vom ersten Spiel. Er bezog sich auf die kleinen Schlachten vor dem Tor, bei denen um jeden Zentimeter gerungen wird – und seine Schützlinge einen Tick zu weit entfernt standen.

Doch es gibt auch die größeren Schlachten – zwischen Spielern. Mit der Rückkehr von Steve Pinizzotto im zweiten Spiel war absehbar, dass die Serie härter werden würde. Pinizzotto fuhr seine Checks, bekam aber auch selbst welche ab, Eisbären-Verteidiger Kai Wissmann, 21 Jahre alt, 1,94 Meter groß, setzte die Begrüßungszeichen. Da musste sich auch Haudegen „Pinner“ mal aufrappeln.

Provokationen

Steve Pinizzotto gelang das 2:1, ein perfektes Powerplay-Tor. Der Deutschkanadier bejubelte es auf seine Art: Mit dem Handschuh imitierte er in Richtung der Berliner Bank einen quasselnden Mund. Möge sich der Gegner noch ein bisschen mehr aufregen (und vielleicht bei nächster Gelegenheit zu einem Blödsinn hinreißen lassen).

In Berlin mischt auch das Publikum mit: Die von einem australischen Fan gegründeten Blue Suit Men (Stammplatz: an der gegnerischen Strafbank) hatten ein paar Plakate gebastelt: „Mauer + Kahun. Keine Punkte mehr in den letzten Spielen. Habt ihr euch getrennt?“ Oder „Sieben von euch glaubten, sie sind besonders mit ihren Silbermedaillen. Aber bald wird das ganze Team 1 haben.“ Die drei Herren in den bunten Anzügen treiben das Spiel aber mit jedem (Playoff-)Gegner. Die Nürnberger Reizfigur Dane Fox fragten sie, ob er die Rückennummer 74 als Entsprechung zu seinem IQ gewählt habe.

Für Mittwoch Entwarnung: Die Blue Suit Men fahren auswärts nicht mit.

Der letzte Eindruck

Der EHC erzielte durch Maxi Kastner zwölf Sekunden vor dem Ende des zweiten Drittels das 5:2, die Berliner Arena mit über gut 14 000 Besuchern verstummte. Das hatte was von Vorentscheidung. Trotzdem rannten die Eisbären noch einmal an. Mit der Minimalzielsetzung, wenigstens das Drittel zu gewinnen. Zu zeigen, dass man zurückkehren kann, man hinten wieder stabiler ist. Beide Teams spielten aus Rückständen heraus noch gute Schlussoffensiven – München am Freitag, Berlin am Sonntag. Mit vollem Risiko, mit einem zusätzlichen Stürmer statt dem Torhüter. Und ohne ein Empty-Net-Goal zu kassieren.

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