BIATHLON

Bezahlte Jagden, Prostitution, Stimmenkauf

von Redaktion

Der Doping- und Korruptions-Skandal um IBU-Präsident Anders Besseberg nimmt immer ungeheuerlichere Formen an

VON ARMIN GIBIS

München – Anders Besseberg hat immer gerne das Schöne und Gute seiner Sportart beschworen. Und als es vor einem Jahr bei der Biathlon-WM in Hochfilzen sehr unangenehme Dopingdiskussionen – vornehmlich um das russische Team – gab, da hat er als IBU-Präsident in einem Tiroler Wellness-Hotel in zackig-pathetischem Ton verkündet: „Nichts wird unseren wunderschönen Sport überschatten!“ Da irrte sich der Norweger jedoch ziemlich gewaltig. Denn mittlerweile hat sich die einst scheinbar so heile Welt des Biathlons arg verdunkelt. Und der längste aller Schatten ist sein eigener – also der von Besseberg.

Schon in der vergangenen Woche war der 72-Jährige von seinem Präsidentenamt zurückgetreten, ebenso Generalsekretärin Nicole Resch. Es blieb dem Duo nichts anderes übrig, denn die Vorwürfe waren ungeheuerlich: Vertuschung von Doping, Korruption. Die österreichischen Ermittler sahen sich veranlasst, mit harten Bandagen vorzugehen: Es gab eine Razzia in der IBU-Zentrale in Salzburg. Nun sind in einem Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA weitere Verdachtsmomente und peinliche Details aufgetaucht. Es geht dabei explizit um bezahlte Jagdausflüge nach Russland, die Gratis-Vermittlung von Prostituierten und Stimmenkauf bei der Vergabe von Weltmeisterschaften.

Der WADA-Report legt nahe, dass russische Doper dank intensiver Bestechung der IBU in den letzten 15 Jahren quasi Narrenfreiheit genossen. Auch ließen Insider verlauten, Besseberg habe sich bei der Vergabe von TV-Rechten schadlos gehalten.

Unterdessen bemühte sich Besseberg, ein leidenschaftlicher Hobbyjäger, um betonten Gleichmut. „Ich habe gehört, die WADA hat die Untersuchungen initiiert. Ich denke, sie sind in einer deprimierenden Situation. Sie haben nur Rodtschenkow als Zeugen und sonst nichts. Und es ist klar, dass ihm niemand glaubt“, sagte er der norwegischen Zeitung „Dagbladet“. Grigorij Rodtschenkow ist die Schlüsselfigur im Doping-Skandal um die Winterspiele von Sotschi. Es kann dabei sicher nicht behauptet werden, dass der Whistleblower als unglaubwürdig eingestuft werde. Außerdem ist auch nicht bekannt, dass sich die WADA nur auf Rodtschenkows Aussagen stütze.

Vielmehr bewerteten die Staatsanwaltschaften in Österreich, Norwegen und Deutschland die vorliegenden Anschuldigungen und Indizien als ausreichend seriös, um Hausdurchsuchungen zu starten. Besseberg jedenfalls soll nicht nur mitgeholfen haben, 65 russische Dopingfälle zu vertuschen. Auch habe er die WM-Vergabe 2021 an die russische Stadt Tjumen stark forciert. Angeblich sind in diesem Zusammenhang bis zu 100 000 Euro an Mitglieder des IBU-Boards geflossen sein. Im Februar 2017 zog die IBU den WM-Zuschlag für Tjumen allerdings wieder zurück – der öffentliche Druck im Zusammenhang mit dem russischen Staatsdoping war zu groß geworden. Wie die WADA schrieb, habe sich Besseberg „unglaublich loyal und unterstützend“ gegenüber Russland verhalten.

Eine tatkräftige Mitstreiterin war dabei offenbar die aus Thüringen stammende Generalsekretärin Nicole Resch. Die 42-jährige Juristin, der auch ein guter Draht zu IOC-Chef Thomas Bach nachgesagt wird, habe im Verband praktisch die alleinige Hoheit über das Anti-Doping-Verwaltungsprogramm gehabt und anderen IBU-Mitgliedern den Zugang verwehrt.

Wie die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) in Wien gestern bestätigte, werde derzeit gegen zehn Personen wegen Dopingbetrugs und gegen zwei Personen – offenbar Besseberg und Resch – wegen Korruption ermittelt. Die „große Biathlon-Familie“, von der Besseberg stets schwärmerisch sprach, scheint zu einem Schattenreich geworden zu sein.

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