München – Um sich einmal vor Augen zu führen, wie lange 1996 her ist, reichen ein paar Fakten: Der Papst hieß Johannes Paul II, Bill Clinton wurde zum zweiten Mal Präsident der USA, Henry Maske beendete seine Box-Karriere, Michael Schumacher wechselte zum Formel-1-Team von Ferrari. Zudem wurde „Take That“ aufgelöst, die Dunkelziffer der gebrochenen Mädchen-Herzen ist in dem Fall bis heute ein Mysterium. 1996 trat außerdem Arsene Wenger seinen Job als Trainer von Arsenal London an. Das wiederum betrifft kurioserweise den FC Bayern im Jahr 2018.
Wenger nämlich hat sein Verfallsdatum gründlich ausgereizt, laut „kicker“ wird der Franzose im Sommer trotz eines Vertrags bis 2019 vor die Tür gesetzt. An seiner Stelle soll Thomas Tuchel übernehmen. Offiziell ist das Ganze zwar noch nicht, der ehemalige BVB-Coach hält sich bezüglich seines neuen Arbeitgebers noch bedeckt (auch Paris St. Germain und der FC Chelsea hegen Hoffnungen) – doch Fakt ist: Den FC Bayern übernimmt er nicht.
Am Freitag soll es an der Säbener Straße hektisch gewesen sein, heißt es. Tuchel hatte den Bossen tags zuvor erklärt, er stehe bei einem internationalen Top-Klub im Wort und scheide daher aus dem Kreis der potenziellen Erben von Jupp Heynckes aus. Mittels einer Telefonkonferenz sollen sich Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamidzic noch einmal um ihn bemüht haben. Der 44-Jährige blieb aber hart: Bye, bye Bayern.
Für den deutschen Rekordmeister verschärft sich damit die ohnehin schwierige Trainersuche akut. Der deutsche Markt – und auf den haben die Münchner Macher ihren Fokus eingestellt – gibt wenig her, Tuchel hatte daher die Pole Position für den Fall, dass Heynckes nach der Saison das Cockpit verlässt. Die Lesart war folgende: Heynckes galt als Plan A, Tuchel als Plan B. Da sich die Vorzeichen verdichten, dass der bald 73-Jährige im Sommer Servus sagt, muss man nun einen Plan C entwerfen. Ideal ist diese Entwicklung nicht.
Es ist ein Vabanquespiel, dass die Bayern-Bosse seit Monaten betreiben. Noch immer hoffen sie auf ein weiteres Jahr mit Heynckes, bisher bemühten sie sich nicht ernsthaft um Alternativen. Bei Tuchel sind sie jetzt zu spät. Es ist ja verständlich, dass sich Trainer ab einem bestimmten Zeitpunkt auch auf ihre neue Aufgabe einstimmen wollen. Ob Tuchel allerdings eine gute Lösung gewesen wäre, ist eh die große Frage. Bei Borussia Dortmund zersplitterte am Ende alles, auch weil das Ego des Trainers beachtliche Ausmaße angenommen hatte und so etwas unter dem Diktat von Hans-Joachim Watzke nicht drin ist. Der Geschäftsführer hat ebenfalls ein gesundes Selbstvertrauen. Wie sich Tuchel unter den Alphatieren Hoeneß und Rummenigge eingefügt hätte? Schwer zu sagen. Konflikte schienen da programmiert, zumal der Kostverächter nicht der Typ ist, Meinungsverschiedenheiten im bevorzugten Stil der Bayern-Bosse bei einer Flasche Wein und einem herzhaften Essen auszuräumen.
Tuchel galt vor allem als Kandidat von Rummenigge. Salihamidzic und Heynckes sollen ebenfalls zu dem früheren Dortmunder, der seit dem Sommer ohne Verein ist, tendiert haben. Hoeneß hatte hingegen seine – nicht ganz unberechtigten – Zweifel. Mit der neuen Entwicklung sind die Bayern nun so klug als wie zuvor. Die Hoffnung auf Heynckes wird nahezu essenziell, gleichzeitig ist es höchste Zeit, das Fahndungsraster zu überarbeiten. Keine deutsche Alternative ist frei von einem Makel; von Ralph Hasenhüttl über Julian Nagelsmann und Niko Kovac bis hin zu Lucien Favre. Salihamidzic fühlte bei Mauricio Pochettino (Tottenham) vor, der Argentinier spekuliert aber auf die Nachfolge von Zinedine Zidane bei Real Madrid. Eine sinnvolle Option wäre Luis Enrique, der im Sommer nach drei Spielzeiten mit neun Titel beim FC Barcelona ein Sabbatical eingelegt hat. Er steht für die Philosophie, die Pep Guardiola beim FC Bayern etablierte. So wie Tuchel – doch der ist ja raus. Ob er mit seiner Absage Herzen brach wie einst „Take That“ ist dennoch zu bezweifeln.