München – Er ist einer der letzten noch aktiven deutschen Weltmeister von 2007. Vor einigen Tagen stieg Holger Glandorf endgültig zur Legende seiner Sportart auf. Beim 29:21 seiner SG Flensburg-Handewitt gegen die Füchse Berlin schwang er sich zum erfolgreichsten Feldtorschützen der Bundesliga auf. Glandorf überflügelte den Südkoreaner Yoon Kyung-shin, dessen 2262 Treffer lange als Bestmarke für die Ewigkeit galten. Doch der Rekord ist für den bald 35-Jährigen vorerst noch Nebensache, wie er im Interview mit unserer Zeitung erklärte.
-Herr Glandorf, können Sie sich noch an das erste Tor Ihrer Karriere erinnern?
Oh, nein. Ich weiß nur, dass es in Nordhorn gewesen ist. Und dass ich sehr stolz war, ich hatte ein Tor in der Bundesliga geworfen. Aber im Detail erinnere ich mich nicht, dafür waren das einfach zu viele.
-Aber gibt es doch Tore, die ein bisschen gleicher sind als andere?
Doch, die gibt es schon. Beim Champions-League-Sieg (2014, Anm. der Redaktion) der wichtige Ausgleich im Halbfinale gegen Barcelona. Das war schon so ein Tor, an das ich mich ganz gut erinnere.
-Dann könnte das 2263. Bundesliga-Tor einen Ehrenplatz erhalten, mit dem Sie den bisherigen Rekordhalter Yoon Kyung-shin endgültig überflügelten?
Ach, ich denke, solche Dinge kriegen für mich erst später eine größere Bedeutung. In dem Spiel gegen Berlin war es mir ehrlich gesagt wichtiger, dass wir als Mannschaft Erfolg hatten. Aber klar macht mich der Rekord auch stolz. Ich denke, ich kann ganz zufrieden sein, was ich in meiner Karriere erreicht habe.
-Vor allem eine Menge Titel. Sie waren Weltmeister, Champions League-Sieger – viel mehr kann man nicht erreichen. Was treibt Sie an?
Ganz allgemein, Titel mit der Mannschaft zu holen. Wenn du Titel gewinnst, dann macht das Lust auf mehr. Aber es ist auch einfach so: Handball bringt mir immer noch eine Menge Spaß. Ich habe einfach Lust, weiter zu spielen. Mein Vertrag läuft bis 2019. Schauen wir mal, wie es weitergeht.
-Der Sport hat Ihnen aber auch einige Schattenseiten beschert, unter anderem einen Achillessehnenriss. Gab es Zeiten, in denen der Spaß weg war?
Natürlich habe ich schwierigere Zeiten gehabt. Aber ich habe nie grundsätzlich an dem gezweifelt, was ich mache. Man wird in diesen Phasen sicherlich demütiger, weil man sieht, dass es etwas Besonderes ist, sein Hobby zum Beruf zu machen. Aber für mich war es immer ein ganz besonderes Gefühl, wenn ich mich wieder zurückgekämpft habe. Da war die Motivation noch größer.
-Der Fußballer Per Mertesacker hat kürzlich unter anderem gesagt, Verletzungen seien ihm gelegen gekommen. Weil er dem Druck so aus dem Weg gehen konnte. Können Sie das nachvollziehen?
Jede Mensch geht mit Druck natürlich anders um. Auf jeden Menschen hat Druck eine andere Wirkung. Insofern muss das jeder natürlich für sich selbst ausmachen. Aber klar ist: Man muss so etwas schon sehr ernst nehmen, wenn Per Mertesacker das so empfindet, und ich kann überhaupt nicht verstehen, dass er dafür kritisiert wird. Ich selber wollte allerdings nie verletzt sein. Ich wollte immer nur spielen. Aber die Situation ist im Handball vielleicht auch eine andere.
-Im Handball gibt es die ungeheure Masse an Spielen. Bedeutet das nicht auch Druck?
Das schon. Aber als ich angefangen habe, gab es diese Masse an Spielen in dieser Form noch nicht. Das ist alles erst in den letzten Jahren so aufgebläht worden. Ganz ehrlich: Auf diese Weise geht der Sport kaputt. Die Topspieler bekommen keine Pausen mehr, wenn sie auch noch in der Nationalmannschaft spielen, praktisch über das ganze Jahr. Die Folge ist, dass immer mehr Topspieler die Bundesliga verlassen und zu ausländischen Klubs gehen, weil die Belastung dort geringer ist. Das kann nicht im Interesse der Liga sein.
-Das gilt auch für den aktuellen Fall der Rhein-Neckar-Löwen, die ihr Champions-League-Spiel in Kielce wegen einer Terminkollision mit der Bundesliga mit der zweiten Mannschaft bestreiten. Blutet da das Handball-Herz?
Das ist natürlich eine absolute Katastrophe. So etwas macht überhaupt keinen Spaß. Da fehlt jegliche Kommunikation zwischen beiden Seiten, einfach schlecht. Und die Leidtragenden sind am Ende nur die Spieler. Du kämpfst ein ganzes Turnier lang für den Traum vom Finale. Natürlich musst du da immer erst mal hinkommen, aber so wird dir die Chance genommen. Das ist einfach nur schade. Wir spielen auch am Donnerstagabend in Magdeburg und am Samstag schon in Schweden. Ob das fair ist, ist auch eine andere Frage.
-Wobei ein enger Spielplan und die damit fehlende Regeneration im Handball schon Normalität ist. Sind Schmerzen und Müdigkeit für Sie ständige Begleiter?
Naja, ein Stück weit ist das natürlich schon normal, gerade in einer Sportart wie unserer. Und wenn man wie ich schon ein etwas vorgerücktes Alter hat, dann gilt das ganz besonders. Da zwickt der Körper schon noch einmal mehr, als das vielleicht vor ein paar Jahren der Fall war.
-Gehen Sie mit dem Thema heute anders um?
Schon, natürlich. Ich muss heute schon mehr tun, um die nötige Verfassung zu haben. Ich muss meinen Körper anders pflegen.
– Was sieht das in ihrem Fall aus?
Ich verbringe zwischen den Spielen natürlich viel Zeit bei den Physiotherapeuten, das macht enorm viel aus. Aber es geht auch um das normale Leben. Du musst dir ausreichend Ruhe gönnen, gut schlafen, gut und richtig essen. Diese Dinge waren für mich in meiner Karriere natürlich schon immer sehr wichtig, um einigermaßen gesund zu bleiben. Und jetzt gilt das umso mehr.
-Grenzen scheinen nicht in Sicht. Der Flensburger Geschäftsführer Dierk Schmäschke kündigte an, Sie könnten bei der SG spielen, solange sie wollen.
Naja, momentan ist es natürlich auch so, dass ich ganz ordentlich spiele. Ich mache mir jetzt nicht vor, dass ich noch eine Ewigkeit spielen werde. Der Verein prüft natürlich, was der Markt hergibt. Das muss er auch tun, das ist ganz normal. Und ich bereite mich auch auf das normale Leben vor.
-Wie könnte das normale Leben bei einem Mann aussehen, der sich seit bald zwei Jahrzehnten im Handball bewegt?
Ich habe ja ein Studium im Bereich Sportmanagement hinter mir. Ich kann mir das gut vorstellen, gerne auch in Flensburg. Meine Familie und ich fühlen uns hier wohl. Das Wetter könnte manchmal besser sein, aber ich mag den Norden.
Interview: Patrick Reichelt