Mertesacker spricht über Druck

Schwäche ist Stärke

von Redaktion

Es ist erst eine Woche her, dass Ron-Robert Zieler, der Torwart des VfB Stuttgart, in Köln auf denkbar schlimmste Weise beleidigt wurde. Die Angriffe wortgetreu wiederzugeben, verbietet sich aus Gründen der Pietät. Es reicht der Hinweis, dass der Selbstmord Robert Enkes eine zentrale Rolle spielte.

Als der Nationaltorhüter sich 2009 das Leben nahm, hielt die Branche kurz inne und stellte die Frage, wie gesund der Fußball noch sei, wenn ein Spieler es sich nicht einmal erlauben könne, eine Schwäche zu zeigen. Heute muss man die Frage wieder aufwerfen.

Mit Per Mertesacker hat sich gerade jemand zu diesem Thema geäußert, den man eher zu den Robusten gezählt hätte. Wort- und detailreich beschreibt der Abwehrhüne in einem Interview, wie falsch dieser Eindruck immer gewesen ist. Er spricht von Brechreiz, von Durchfall und den alltäglichen Manövern, zu denen er griff, um den Schein zu wahren.

Beklemmend daran ist gar nicht mal nur der Inhalt. Als Außenstehender hat man geahnt, dass der Beruf Fußballer Schattenseiten hat und Leistungssport nicht das reine Vergnügen ist. Ernsthaft verstörend sind jedoch jene Reaktionen, die man auf die schlichte Formel bringen kann: „Warum ist er dann Profi?“

In solchen Momenten begreift man auch als Außenstehender, warum es sich ein Spieler im Zweifelsfall lieber verkneift, den Druck und all die ungesunden Begleiterscheinungen seines Jobs anzusprechen. Auch achteinhalb Jahre nach Enkes Tod gehört ein enormes Maß an Mut dazu, über sensibelste Themen zu reden. Nur sehr wenige haben diesen Mut.

Per Mertesacker ist einer von ihnen, und deshalb ist die vermeintliche Schwäche, die er zeigt, dann doch wieder eine Stärke. Einem wie ihm nimmt man es ab, wenn er Nachwuchsspielern alle, wirklich alle Facetten des Fußballerlebens erklärt.

Umgekehrt verkörpert Lothar Matthäus, der Wortführer unter den Kritikern, das ganze Elend der Debatte. In einer Zeit, in der Abstiegskandidaten mit dem Tod gedroht (HSV) oder Selbstmord nahegelegt wird (Zieler), sollte man sich ernsthaft um die Gefühlslage der Spieler sorgen. Trotz eifrigen Bemühens hat es Matthäus nie zu einem wirklich anspruchsvollen Trainerjob gebracht. Man ahnt nun, warum.

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