München – Schwer zu sagen, wann dieses seltsame Spiel seinen tragikomischen Höhepunkt erreichte. Schon nach 19 Minuten, als der Hamburger Verteidiger Papadopoulos seinem Trainer gestenreich mitteilte, dass dessen Abwehrstrategie krachend gescheitert sei, und dieser artig umstellte? Wenige Minuten später, als das Publikum beim Stand von 3:0 für den FC Bayern den unmissverständlichen Auftrag „Nur noch sieben“ erteilte? Oder doch erst kurz vor Schluss, als der stets torhungrige Robert Lewandowski einen Elfmeter verschoss und lächelnd abdrehte? Minuten später verwandelte er halt den nächsten.
Gewöhnlich sind Heimspiele gegen Abstiegskandidaten beim Rekordmeister Pflichtveranstaltungen mit überschaubarem Spannungsbogen. Auch ein 6:0 ist nicht zwingend etwas Besonderes – gerade wenn es gegen den Hamburger SV geht. Verglichen mit den Abreibungen früherer Jahre kam der einst stolze Traditionsklub am Samstag fast noch glimpflich davon. Gleichzeitig existiert zwischen diesen beiden Klubs eine ganz spezielle Verbindung. Lange waren die Hanseaten Konkurrenten, zuletzt nur noch Lieblingsgegner. Selbst der weitgereiste und reich dekorierte Mats Hummels wurde am Samstag leicht sentimental beim Gedanken daran, dass nun erst mal Schluss sein dürfte mit den HSV-Gastspielen: „Das wäre tatsächlich komisch.“
Jedes Jahr um diese Zeit befasst sich eine der prägenden Debatten rund um den FC Bayern mit der Frage, wie sich die Vorentscheidung in der Bundesliga auf das Geschehen in der Champions League auswirkt. Schon kommenden Sonntag in Leipzig könnten die Münchner ja ihren nächsten Meistertitel feiern. Auf das Stichwort „Spannung halten“ reagieren die Wortführer mittlerweile ähnlich allergisch wie auf Erkundigungen zu Jupp Heynckes’ Zukunft.
Streng genommen gab es am Samstag tatsächlich eine Phase nach dem 3:0, in der das allgemeine Lockerlassen nicht zu übersehen war. Die Spieler waren in dieser Hinsicht auch voll geständig. Erst mit dem vierten Tor habe man „wieder Zug reingekriegt“, fand Hummels. Aber das ist auf sehr hohem Niveau geklagt. Wenn mit kleinen Konzentrationsmängeln ein schöner Kantersieg herausspringt, gibt es nicht viel zu meckern. „Der Trainer macht uns Beine“, sagte Thomas Müller und erinnerte mit feiner Ironie: „Wie ich Woche für Woche sage.“
Im Kleinen finden sich sowieso immer Anreize. Robert Lewandowski zum Beispiel schießt einfach gerne Tore. Weil sein drittes gegen Hamburg gleichzeitig sein 100. in der Bundesliga für die Bayern war, war der Elfmeterfehlschuss am Ende nicht mal eine Fußnote. Allein der Pole hat mit 23 Saisontreffern fünf mehr erzielt als der ganze HSV. Und da die 30 sein Minimalziel für die Saison ist, steht ein Nachlassen der Abteilung Attacke nicht zu befürchten.
Arjen Robben wiederum will nicht nur jedes Tor – er will auch jeden Ball. Es war herrlich zu sehen, wie er in der Anfangsphase fuchsteufelswild reagierte, nachdem ihm die Kugel vom Fuß gespitzelt worden war – im selben Moment nutzte Franck Ribery das Zufallszuspiel zum 1:0. Auch die ungeklärte Zukunft des Duos dürfte in den nächsten Wochen und Monaten, wenn es in der Champions League endlich spannend wird, ein Antrieb sein.
Langweilig wird es jedenfalls nicht. Nach den jüngsten Pflichtaufgaben gegen Berlin, Freiburg und Hamburg kämen „jetzt zwei Partien, wo es prestigemäßig ein bisschen mehr knistert“, freut sich Thomas Müller. Erst geht es zu Besiktas Istanbul, dessen Fans trotz des 0:5 im Hinspiel dem Gegner sicher einen feurigen Empfang bereiten werden, anschließend nach Leipzig. Und vielleicht hat man dann bereits den ersten Titel.
Oder halt eine Runde später, wenn Borussia Dortmund kommt. „Ich brauche das nicht unbedingt“, sagt zwar Hummels, der Ex-Borusse, ahnt aber, dass viele Kollegen es anders sehen werden. Der BVB wäre zur Krönung ein angemessener Gegner. Nicht bloß ein Opfer wie der bedauernswerte HSV.