Freiburg – Das „Colombi Hotel“ liegt nicht in Oberbayern oder gar München, sondern mitten in der – laut Jupp Heynckes „schnuckeligen“ – Altstadt von Freiburg. Aber für Thomas Müller fühlte sich die noble Unterkunft am Samstagabend trotzdem so an, als sei er daheim. Die Leitung in den Pferdestall bestand dauerhaft, und als seine Frau Lisa um halb zehn Uhr abends die frohe Kunde der erfolgreichen Niederkunft übermittelte, ist dem im Breisgau weilenden Gatten „ein Stein vom Herzen gefallen“.
Normalerweise nämlich, kommen die Jungtiere von Hobby-Züchter Müller zur Welt, „wenn ich nicht da bin“. Das war auch diesmal der Fall, aber immerhin schon so frühzeitig, dass er sich auf seinen eigentlichen Job konzentrieren konnte: Den FC Bayern als Kapitän zum nächsten Sieg leiten, Tore schießen. Klappte beim 4:0 keine 24 Sunden später bestens.
Müller wollte nicht allzu viel über die „nette kleine Anekdote“ von zuhause erzählen. Weder Name („macht meine Frau“) noch genaue Umstände der Fohlen-Geburt wurden also bekannt. Der 28-Jährige, in Freiburg an drei Treffern beteiligt, gab aber zu, dass die Entwarnung aus dem Heu ihn „regelrecht beflügelt“ habe. Wäre das Pferdebaby bei Anpfiff noch im Bauch der Mama gewesen, „hätte mich das sehr nervös gemacht“. Wer weiß, wie alles ausgegangen wäre, wäre der beste Mann abgelenkt gewesen.
Man darf davon ausgehen, dass die Bayern dieses Spiel, das Jupp Heynckes als „eines der besten der Saison bewertete“, auch so gewonnen hätten. Obwohl die Gastgeber kämpften, sich nicht aufgaben und über einige Strecken durchaus ein unangenehmer Gegner waren, zeigte sich an diesem Abend zehn Spieltage vor dem Saisonende mal wieder und deutlich, dass der Tabellenführer die Liga nach Belieben dominiert. Wenn Franck Ribery, Arjen Robben, James und Javi Martinez angeschlagen fehlen, dazu Robert Lewandowski eine Pause bekommt, richten es halt andere. Etwa Müller auf rechts, Juan Bernat auf links, Wagner zentral – und das teils überragende Mittelfeld um Thiago, Arturo Vidal und Corentin Tolisso dahinter.
„Wenn die Mannschaft funktioniert, können sie fast jeden Spieler ersetzen“, sagte der Trainer, der die späte Heimreise nach München mit nun mehr 20 Punkten Vorsprung antrat. In zwei Wochen, beim Gastspiel in Leipzig, kann die sechste Meisterschaft in Serie eingetütet werden. Macht das an diesem Ort besonders Spaß? Sven Ulreich – der einen frühen Rückstand verhindert hatte – grinste, sagte aber diplomatisch: „Meister werden ist immer schön, egal wann und wo.“
Es ist aktuell die Kunst dieser Bayern, sich durch langweilige Wochen zu quälen, dabei aber die Lust am Fußball nicht zu verlieren. Frontmann Müller attestierte dem Team „überragenden Charakter“, und verwies darauf, dass man nach dem torlosen Remis in der vergangenen Woche gegen Berlin zeigen wollte, „was los ist“. Heynckes habe seine Spieler zudem „wirklich noch mal eingeheizt, nicht nachzulassen“. Und was Jupp sagt, ist in München ja Befehl.
Die mit der nötigen Lockerheit gepaarte Autorität des Coaches ist genauso ein Selbstläufer wie das Selbstverständnis und die Qualität, mit denen Müller das Team bereichert. Einer, den man „gegen jede Mannschaft der Welt braucht“, sei der der Ersatz-Kapitän, sagte Mats Hummels. Auch Thiago lobte: „Er bringt uns Freiräume, die wir brauchen. Thomas ist sehr wichtig für uns.“ In Freiburg war er am Eigentor durch den Keeper Schwolow maßgeblich beteiligt („da rufe ich noch mal an und frage nach dem echten Schützen“), bereitete das 3:0 vor und schoss das 4:0 selbst. Und das, obwohl Müller nicht mal da hatte starten dürfen, wo er sich am wohlsten fühlt.
Zwar sei er „kein klassischer Flügelspieler“, letztlich sei es ihm in der derzeitigen Verfassung aber egal, ob er auf rechts oder zentral ran darf. Sein Einfluss ist von überall aus gleich, „weil ich sehr engagiert bin, es mir viel Spaß macht und ich auch wieder mehr Vertrauen habe“. Die Bayern sollten darauf hoffen, dass die wohlige Gefühl aus dem „Colombi“ noch ein, zwei Monate anhält. Vaterfreuden sind schön. Und ein beflügelter Müller beflügelt alle.