München – Freunde gepflegter Binsenweisheiten wissen, dass der Fußball ein schnelllebiges Geschäft ist, aber so rasant wie am Wochenende geht es selten zu. Noch Samstagabend gab Sven Ulreich mit keinem Wort zu erkennen, dass er sein Engagement beim FC Bayern schon sehr bald ausdehnen würde. Es gäbe „keine Tendenz“, teilte er mit. Dabei zuckte er nicht mal mit der Wimper.
Entweder war Ulreich, wovon auszugehen ist, in diesem Moment in den Katakomben so cool wie in den vergangenen Monaten auf dem Rasen. Oder aber Verein und Spieler verhandelten anschließend noch bis in die Nacht mit einer Effizienz, an der sich die Berliner Großkoalitionäre ein Beispiel hätten nehmen können. Gegen Mittag verschickten die Bayern gestern jedenfalls eine Meldung, dass der Torwart seinen Vertrag bis 2021 verlängert habe.
Die Notwendigkeit eines starken zweiten Schlussmanns war viele Jahre nur theoretischer Natur, weil Manuel Neuer selbst auf Pokal-Erstrundenkicks ungern verzichtete. Die aktuelle Saison hat alles verändert. Selbst der Welttorhüter ist verwundbar, wie man jetzt weiß. Während bis April der einst etablierte Bundesligakeeper Ulreich in München eindreiviertel Sabbatjahre zu verbringen schien, ist er nun so unverzichtbar wie Neuer in seinen besten Zeiten. Für die Verhandlungen mit den Bayern war das eine dankbare Ausgangsposition. Ulreich habe „maßgeblichen Anteil daran“, dass man noch immer um drei Titel spiele, lobte Sportdirektor Hasan Salihamidzic.
Am Freitag hatte der Verein auf seiner Homepage mitgeteilt, dass Neuer einen Kurzurlaub „in wärmeren Gefilden“ angetreten habe. So beiläufig die Nachricht formuliert war, löste sie doch umgehend neue Spekulationen über den Heilungsprozess seines lädierten Mittelfußknochens aus. Was aus Sicht der Bayern eine logische Auflockerung des Rehatrotts sein mag, kann auf skeptische Beobachter auch wie eine neuerliche Verzögerung wirken.
Zu diesen Skeptikern gehört Joachim Löw offenbar nicht. Am Samstag berichtete er bei Sky von einem Telefonat, das er vergangene Woche mit seinem Kapitän geführt habe. „Er hofft, dass er demnächst ins Training einsteigt“, informierte der Bundestrainer. „Ich gehe davon aus, dass alles okay ist.“ Dass Löw sich vier Monate vor WM-Beginn aber auch mit anderen Szenarien befasst, darauf ließ seine Aussage schließen, Ulreich sei „sicherlich in unserem Blickfeld“. Erst recht nach einem Tag, an dem der Münchner ungleich souveräner agierte als der hochgelobte, aber diesmal unglückliche Ralf Fährmann
Bei den Bayern spielte schon einmal ein zweiter Schlussmann (Hans-Jörg Butt 2010), der unerwartet den Sprung zur WM schaffte. Es gibt allerdings prominente Fußballer, die eine Parallele zwischen diesen beiden Fällen vehement bestreiten. Zum Beispiel Sven Ulreich. Ihn freuten zwar Löws aufbauende Worte, trotzdem empfände er eine Nominierung als unangemessen: „Viele andere Torhüter werden eher auf den Zug aufspringen, weil sie jünger sind und große Perspektiven haben.“ Er fände es sogar regelrecht „unfair, wenn einer mitfahren würde, der sonst eher auf der Bank sitzt“. Genau dort sieht er schließlich auch in Zukunft seinen Stammplatz, wenn Manuel Neuer erst mal zurückgekehrt ist: „Das kann ganz schnell gehen.“ Wem sagt er das. mb