Triumph des Musterschülers

von Redaktion

Auf der größten Bühne zeigt Andreas Wellinger den Wettkampf, der ihm schon immer zugetraut worden war

VON ARMIN GIBIS

Pyeongchang – Die größten Momente eines Sportlerlebens sind oft kaum zu ertragen. Und so ging Andreas Wellinger in der Leaderbox in die Knie, senkte den Kopf, hielt immer wieder die Hände vors Gesicht. „Das war eine Mischung aus Hin- und Wegschauen“, erzählte er, „wenn du nichts mehr beeinflussen kannst, dann ist das die schlimmste Wartezeit für einen Sportler.“ Für Wellinger endete sie mit einem gewaltigen Gefühlsausbruch. „Ich wusste nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Die Emotionen sind nur so herausgesprudelt und über die Decke hinausgegangen“, erzählte Wellinger, dem im Zielraum die Tränen nur so übers Gesicht kullerten.

Mit einem grandiosen Sprung auf 113,5 Meter war er auf der kleinen Schanze im zweiten Durchgang von Rang 5 an die Spitze geflogen. Am Ende stand der 22-Jährige als Olympiasieger auf dem Podest. Bundestrainer Werner Schuster jubilierte: „Das ist ein Freudentag für das Skispringen in Deutschland.“ Der schwer euphorisierte Wellinger meinte: „Wenn man darüber nachdenkt, dass da jetzt der eigene Name neben einer Goldmedaille steht, könnt ich ständig heulen, weil’s so geil ist.“

Mit ihm freuten sich die Teamgefährten Markus Eisenbichler (8. Platz), Richard Freitag (9.) und Karl Geiger (10.), die für ein schönes Mannschaftsergebnis sorgten. Schuster sieht seinen Musterschüler nach dessen bislang größtem Erfolg noch längst nicht am Ende seiner Entwicklung. „Er ist noch jung, da ist noch einiges drin.“

Schon im Vorjahr offenbarte der Team-Olympiasieger Konstanz auf hohem Niveau, holte sich Einzel-Silber auf beiden Schanzen und Gold im Mixed-Wettbewerb. In diesem Winter schloss der in der Gemeinde Schneizlreuth aufgewachsene Skispringer die Vierschanzen-Tournee als bemerkenswerter Zweiter ab. „Ich habe in den letzten Jahren gelernt, hart zu arbeiten“, erzählte Wellinger, „vorher habe ich nicht mit der nötigen Konsequenz mein Training durchgezogen.“ Noch heute, so bekennt er, brauche er manchmal „einen Tritt in den Hintern“.

Bundestrainer Werner Schuster sieht den BWL-Student, der in München lebt und studiert, dennoch auf einem guten Weg zum Spitzenprofi. „Andi ist gewachsen und gereift. Er ist zum Topmann aufgestiegen.“

In Pyeongchang hatte sich der junge Mann vom SC Ruhpolding als Sieger in der Qualifikation zum Mitfavoriten profiliert. Doch nach dem ersten Durchgang war nicht unbedingt mit einem großen Coup zu rechnen gewesen. Klar in Führung lag der Pole Stefan Hula, Richard Freitag war Vierter, einen Rang dahinter lag Wellinger. „Als Trainer weißt du, dass du hier auch leer ausgehen kannst“, sagte Schuster. Doch in dem von schwierigen Witterungsbedingungen beeinträchtigten Wettbewerb, der sich bis 0:23 Uhr Ortszeit hinzog, setzte der Oberbayer dann alles auf eine Karte. Den zweiten Versuch erwischte er optimal. „Das war ein Wahnsinnssprung. Ich wusste gleich, dass der weit geht. Und ich war auch davon überzeugt, dass ich den Telemark setzen kann, ohne mit der Wimper zu zucken.“ Wellinger landete bei 113,5 Meter – Schanzenrekord.

Bei Skisprung-Legende Sven Hannawald, derzeit als TV-Experte im Einsatz, löste er damit in der Reporterkabine einen Temperamentsausbruch aus. „Das war volle Attacke! Sekt oder Selters, er musste alles riskieren, das muss man in so einer Situation machen, und er hat das gemacht“, schrie Hannawald. Auch Coach Schuster war außer sich. Wellinger berichtete: „Ich habe ihn selten so emotional erlebt, ich weiß nicht, ob er sich beim Armeaufreißen die Schulter ausgekugelt hat.“

Und auch daheim hat die Großtat einen Sturm der Begeisterung ausgelöst. „Mein Handy funktioniert nicht mehr“, sagte Wellinger, „es ist explodiert.“ Die Siegerehrung fand in der Stunde nach Mitternacht vor nur noch 500 Unentwegten statt. Wellinger störte das überhaupt nicht. „Es war arschkalt und windig wie Sau. Respekt, dass überhaupt noch 500 da waren.“

Nur einen leisen Vorbehalt merkte er an: „Lieber wäre es mir gewesen, wenn ich das Gold in München errungen hätte. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.“

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