München – Erst am Mittwoch ist die Bahnkommission der IBSF zusammen gekommen. Olympische Spiele werfen ihre Schatten voraus, und zwar deutlich längere, als Außenstehende vermuten. Denn beim Treffen der Vertreter des Bob-Weltverbandes ging es nicht etwa um die Bahn in Pyeongchang, sondern um jene, auf der erst in mehr als vier Jahren in Peking um Medaillen gekämpft werden soll. Schon jetzt werden Gelände geprüft, Profile gesichtet, Alternativen abgewogen. All das, was in Südkorea schon lange passiert ist. Inzwischen steht dort eine 93 Millionen Euro teure Bahn, die ihre Tücken hat – und über die BSD-Sportdirektor und Kommissionsmitglied Thomas Schwab sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein Pilot alle vier Läufe trifft.“
Natalie Geisenberger schaut ein wenig irritiert, als ihr Chef beim traditionellen Weißwurstfrühstück zum Jahresabschluss diese Worte von sich gibt. Sie selbst hat sich auf dem 1376 Meter langen Kurs mit zahlreichen Tücken zwar inzwischen „ganz gut zurechtgefunden“, speichert aber auch ein Video auf ihrem Smartphone, das sie gerne anschaltet, wenn es um den olympischen Kanal geht. Es zeigt sie selber auf ihrem Rodel, und zwar auf der Geraden nach der Kurve neun, die von den Piloten gerne als „Schlüsselstelle“ bezeichnet wird.
Sie hat die Schleife passabel passiert – und hebt trotzdem in der Folge 40 Zentimeter ab. Freier Fall statt sicherer Halt. Der bewusst eingebaute Huckel (Schwab: „Man muss ja mal was Neues machen“) kann weh tun. Geisenberger erinnert sich an die ersten Tests auf der Strecke. „Da hatte jeden Tag ein anderer Krücken“, sagt die Olympiasiegerin von 2014.
Schwab weiß um die Problematik, und er bezeichnet sich selbst als „einen, der zu krasse Entwicklungen eher bremst, weil ich nicht möchte, dass die Entscheidung zur Lotterie wird“. In den vergangenen vier Jahren ist der ehemalige Rodler in der Kommission nicht nur einmal mit kritischen Worten aufgetreten. Er hat die Entwicklung der Bahn mit dem Planungsbüro in Stuttgart von der ersten Skizze bis zum fertigen Bau begleitet und kennt jedes Detail. Von Länge, Höhenunterschied, Neigungen, Schwerkraft und Kurvenprofilen erzählt er, als wäre er selbst schon x-mal runtergefahren. Dabei versucht er nur, dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für alle Starter so gleich wie möglich sind.
In Pyeongchang ist das von Beginn an schwergefallen, „denn die Koreaner“, sagt Schwab, „sind sehr eigen“. Unter anderem die detaillierte Planung für das Kühlhaus – auf einer Kunsteisbahn ein komplexes und enorm wichtiges System – wurde von den Organisatoren vor Ort eigenständig über den Haufen geworfen. Unpassende Rohrdurchmesser und Pumpen sorgten dafür, dass die ersten Trainingseinheiten kaum durchführbar waren. Es wurde umgebaut, nach einem Stresstest im Sommer stimmen nun die äußeren Gegebenheiten.
An der Schwierigkeit der Bahn hat sich freilich nichts geändert. Geisenberger nennt sie „wild“ und „ein Abenteuer“, obwohl die Höchstgeschwindigkeit auf 135 km/h gedrosselt wurde. Schwab mag hohe Ansprüche, prüft aber im Moment den Huckel, den Geisenberger auf ihrem Handy gespeichert hat. An dieser Stelle – Ausfahrt Kurve neun und anschließende Gerade – kann man mit einem Bob schnell 0,2 Sekunden verlieren. Kommt man als Rodler nicht durch, ist man laut Geisenberger „gleich weg vom Fenster“. Das sollte der Titelverteidigerin nicht passieren.
Schwab sagt: „Eine Modifizierung wird aktuell diskutiert.“ Und Geisenberger kontert: „Dann wird aus einer sehr, sehr, sehr schweren Bahn eine sehr, sehr schwere.“ Irgendwo zwischen Abenteuerlust und Respekt bewegen sich die Gemütslagen aktuell. Bei Geisenberger genau wie in der Bahnkommission.