München – Ehe Niklas Süle am Mittwochabend ein letztes Mal in diesem Jahr vor den Reportern zu einem Fußballspiel Stellung bezog, drehte er sich zunächst einmal weg, um sich zu räuspern. Gründlich. Die Stimmbänder sollten ihn nicht im Stich lassen, und irgendwie passte dieser Akt der Gesprächsvorbereitung: Süle hat im zurückliegenden Halbjahr nach vielen Fußballspielen Stellung bezogen, öfter als gedacht – und im Stich ließ ihn sein Körper nie, zumindest nicht nennenswert. Von den Stimmbändern bis zu den Fußspitzen: Süle hat sich bei Bayern sehr gut eingefügt.
Das ist insofern nicht unbedingt zu erwarten gewesen, als der 22-Jährige zwar als die Zukunft in der deutschen Innenverteidigung gilt, nach seinem Wechsel im Sommer aus Hoffenheim nach München in den Reihen des Rekordmeisters aber erst einmal mit der Gegenwart der deutschen Innenverteidigung konfrontiert wurde. Prominenter können die Konkurrenten kaum sein, schließlich sind Jerome Boateng und Mats Hummels Weltmeister. Da wäre es logisch, wenn sich ein junger Mann wie Süle erst einmal eine Reihe weiter hinten einsortiert, er selbst sah das so, als er im vergangenen Winter unterschrieb. Doch er durfte viel öfter ran als gedacht. Süle hat sich zwischen zwei Weltmeistern mit einem lauten Räuspern bemerkbar gemacht, sogar mehr: Er deutete an, dass er tonangebend werden kann, schon in absehbarer Zeit.
Er habe ja „noch lange einen Vertrag hier“, sagte er am Mittwochabend, als er auf seine überraschend guten Perspektiven angesprochen wurde. „Ich habe hier mit Sicherheit meine persönlichen Erwartungen übertroffen“, gab er zu, obwohl er sich natürlich schon zugetraut hatte, eine Chance zu haben. Dass er aber so schnell so viele Einsätze bekommen würde, sei keine Selbstverständlichkeit gewesen. „Ich habe das Vertrauen von beiden Trainern genossen“, sagte er, und auch das bedeutet durchaus etwas: Wer Carlo Ancelotti und Jupp Heynckes überzeugt – und in Joachim Löws Nationalteam regelmäßig Verwendung findet –, muss Qualitäten haben. Heynckes lobte den Hünen einen Tag vor dem Duell mit dem BVB als „guten Jungen“, ihm gefällt besonders, dass er sich etwas sagen lässt. „Wenn man ihm etwas erklärt, nimmt er das auf – und nur so wird man besser“, so der Coach.
Süle hatte sich ohnehin fest vorgenommen, beim FC Bayern alles aufzusaugen. „Ich trainiere hier mit den besten Spielern von Europa, jeden Tag“, erzählte er, „da wäre es doch blöd, ihnen nicht zuzuschauen – das sind alles weltklasse Leute“. Bei Boateng und Hummels imponiert ihm nicht zuletzt die Körpersprache, sagte er. Sind die beiden nun eigentlich Kollegen oder Konkurrenten? Süle lächelt bei so einer Frage verschmitzt – und seine Antwort klingt ehrlich: „Wenn ich einmal am Ende meiner Karriere auf ähnliche Erfolge zurückblicken kann, wäre ich glücklich über meine Entwicklung. Ich würde mich jetzt nie auf eine Stufe mit den beiden stellen.“
Aber er tastet sich ran, und selbstkritisch ist er auch. Es sei „ein anstrengendes Halbjahr“ gewesen, sagte er, „mit vielen Highlights, aber einiges hätte ich mir auch anders gewünscht“. Wenn ein Trainer gehen muss, träfe die Mannschaft ebenfalls Schuld, findet er, und das Spiel in Paris sei schlecht von ihm gewesen. Es war tatsächlich die schwächste Darbietung im Bayern-Trikot, doch an diesem Abend hatte ja kein Münchner Form.
Die kurze Winterpause verbringt Süle zuhause im Kreise seiner Familie. Er will ein wenig abschalten vom Fußball, das täte mal gut, „ich rede da gern über andere Themen“. Verständlich. Über Fußballspiele hat er in den letzten Monaten schließlich öfter gesprochen als gedacht. awe