München – Weihnachtslieder können auch ein Rausschmeißer sein. Wer gerade ein Fußballspiel verloren hat, ist selten besinnlich gestimmt, selbst kurz vor dem Fest. Als am Mittwoch die Feierlichkeiten in der Allianz Arena begannen, hob in einer Ecke des Oberrangs ein schrilles Pfeifkonzert an. Schon beim zweiten Lied war der Block, wo die Fans von Borussia Dortmund den Pokal-Auftritt ihrer Mannschaft verfolgt hatten, geleert. „Es ist ein Ros’ entsprungen“ war mehr, als die Gäste in diesem Augenblick ertragen konnten.
Der schmerzhaftere Teil des Abends war da schon eine ganze Weile vorüber. Die Bayern haben in diesem Jahr zuhause viele dominante Auftritte gezeigt, aber selten waren sie einem Gegner so gnadenlos überlegen wie in den ersten 30 Minuten gegen den BVB. Peter Stöger, der neue Trainer, ist eigentlich ein netter Mensch, aber bei diesem Thema war selbst ihm nicht nach Nettigkeiten zumute: „Ich habe mich über unser Auftreten sehr geärgert.“ In der kurzen Zeit, die ihm bisher zur Verfügung stand, hat Stöger vorrangig die Defensive zu stärken versucht. Davon war am Mittwoch wenig zu spüren, obwohl er es zunächst mit drei Innenverteidigern als zentrale Glieder einer Fünferabwehrkette versucht hatte. Ein derart desolates Zweikampfverhalten wie das der Borussen meinte man in diesem Stadion zuletzt vom TSV 1860 gesehen zu haben.
Die Dortmunder haben ein Jahr hinter sich, das so wechselhaft, aufregend und einmal auch hochdramatisch war, dass es für eine ganze Fußballerkarriere reichen würde: Von der Sperrung der kompletten Stehtribüne wegen Ausschreitungen über die Trennung des (überaus erfolgreichen) Trainers Thomas Tuchel unmittelbar nach dem Pokalsieg bis hin zum Bombenanschlag vom April, der seit gestern vor Gericht aufgearbeitet wird. Ein 1:2 beim FC Bayern gehört in so einer Aufzählung zu den weniger ungewöhnlichen Ereignissen. Doch weil es im Fußball immer weiter geht und der Blick sich stets nach vorne richtet, soll dieser Abend auch einen Wendepunkt markieren.
Unter Peter Bosz war die Borussia eine Mannschaft, die regelmäßig nach Rückständen kollabierte und in der Schlussphase am Ende ihrer Kräfte schien. Diesmal war es genau umgekehrt. Da fanden die Westfalen überhaupt erst ins Spiel, als es nach menschlichem Ermessen längst hätte verloren sein müssen. „Körperlich waren wir noch gut unterwegs“, lobte Stöger den Auftritt in der letzten halben Stunde. Wäre in der Nachspielzeit der Schuss des eingewechselten Isak ins Tor gekullert und nicht haarscharf vorbei, hätten die Minimalisten gegen erlahmende Bayern sogar eine realistische Chance aufs Weiterkommen gehabt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie als krass unterlegene Mannschaft ein Pokalspiel in München gewonnen hätten.
Wenn die Borussia nach den kurzen Weihnachtsferien wieder zusammenkommt, beginnt für Stöger die Arbeit erst so richtig. „14 Tage sind nicht wahnsinnig viel Zeit“, weiß der Österreicher, aber er ist sich sicher: „Es wird reichen.“ Ziel ist eine Spielweise, die mit dem mutlosen Vortrag der ersten Hälfte nichts mehr zu tun hat. Den Fans verspricht Stöger „richtig viel Spaß“. Schon bald werde man „einen offensiv orientierten Fußball“ sehen, wenn auch „mit einer gewissen Restabsicherung“.
Die Januar-Ausgabe des BVB soll mit der Dezember-Edition nicht mehr viel gemeinsam haben. Die Hoffnungen stützen sich auf die Faktoren Zeit und Gesundheit. Wenn erst mal Spieler wie Götze, Aubameyang, Piszczek, Castro und irgendwann auch Reus zurückkehren, dürfte das Niveau tatsächlich ein anderes sein. „Es gibt ja keine zwei Meinungen, dass die Mannschaft gespickt ist mit richtig guten Fußballern“, sagt Stöger. Minimalistenfußball will er der schwarz-gelben Gemeinde künftig keinen mehr bieten. Sie würde ihn auch nicht mehr lange akzeptieren.