München – Es waren verdammt lange 51,39 Sekunden, die Johannes Lochner und seine Jungs da im Zielraum der Bahn von Innsbruck/Igls warten mussten. Aber je näher Francesco Friedrich dem Auslauf kam, desto sicherer konnte sich der Berchtesgadener sein, dass sein nach dem ersten Lauf führender Teamkollege ihm nicht mehr gefährlich werden würde. Einen Traumlauf hatte Lochner im letzten Vierer-Weltcup erwischt, der gleichzeitig als Europameisterschaft gewertet wurde. Am Ende stand für den Weltmeister: Der dritte Weltcup-Sieg der Olympia-Saison sowie die Verteidigung des EM-Titels.
„Ich bin sehr stolz, dass wir im zweiten Durchgang einen draufsetzen konnten“, sagte Lochner, der acht Wochen vor den Spielen in Pyeongchang seine Favoritenstellung im großen Schlitten untermauerte. Anders als Friedrich hatte er sich im zweiten Lauf schon am Start verbessert und auf der Bahn nahezu die perfekte Fahrlinie erwischt. Friedrich, der am Tag zuvor im Zweier noch seinen ersten Weltcup-Sieg der Saison gefeiert hatte, zeigte als Schnellster des ersten Laufes Nerven. Zwar wurde er im EM-Klassement als Zweiter geführt, fiel in der Weltcup-Wertung aber auch noch hinter den Kanadier Justin Kripps zurück. Nico Walther wurde als EM-Vierter hinter Oskars Melbardis aus Lettland Weltcup-Fünfter.
Sieben von neun möglichen EM-Medaillen gingen an die BSD-Teams – Bundestrainer Rene Spies zeigte sich zufrieden mit der Bilanz, weiß aber um die Baustellen seiner einzelnen Piloten. Allen voran Friedrich, von dem der Chefcoach gefordert hatte, „wieder in einen Lauf“ zu kommen, hat die Dominanz der vergangenen Winter ausgerechnet acht Wochen vor dem Höhepunkt in Pyeongchang eingebüßt. Da das Vertrauen ins Material im Laufe der ersten fünf Weltcups gelitten hat, muss über Weihnachten nun weiter getüftelt werden. Es gilt, die richtigen Stellschrauben zu drehen, um wieder konstant ganz nach vorne zu fahren.
Anders als bei Friedrich lief es bei Lochner in der Königsdisziplin schon von Beginn an. „Das Material passt, so kann es weitergehen“, sagte der 26-Jährige, der vor den Festtagen noch einen Anschieber-Test absolvieren wird. In Igls fuhr er mit Marc Rademacher, Joshua Blum und Christian Rasp zum Sieg. Gesetzt ist aber niemand – Lochner stellt klar: „Ich will was gewinnen. Allein darum geht es. Von meinen sechs, sieben Leuten werden nur drei mitfahren.“ Der interne Konkurrenzkampf ist enorm.
Auch bei den Frauen dreht sich alles um die hinteren Plätze im Bob. Der Schachzug von Spies, seine beiden Top-Teams in Igls durchzutauschen, war clever: Stephanie Schneider sicherte sich mit Annika Drazek – eigentlich im Bob Mariama Jamanka – den Weltcup- und EM-Sieg. Jamanka fuhr mit Schneiders Bremserin Lisa Marie Buckwitz auf EM-Rang zwei und Weltcup-Platz drei. Den Dreifacherfolg komplettierte Anna Köhler als EM-Dritte und Weltcup-Fünfte. Wie es weitergeht, ist noch nicht entschieden. Drazek sprach von einer „ersten Probe“ – die aber zur Olympia-Lösung werden könnte. hanna raif