Es menschelt sehr

von Redaktion

Bayern baut den Vorsprung mit schweren Beinen aus – und Hoeneß will Heynckes weiterhin halten

von marc beyer

Stuttgart – Uli Hoeneß hat eine Art, „Schönen Abend“ zu rufen, dass es klingt wie „Sprecht mich bloß nicht an“. Interviews in der Mixed Zone hat der Präsident des FC Bayern schon lange nicht mehr gegeben, auch nicht am Samstag nach dem 1:0-Sieg beim VfB Stuttgart. Er verkniff sich diesmal aber die höflich-distanzierten Grüße in Richtung der Reporter, wünschte allen eine schöne Weihnacht, und als er ins Freie trat, posierte er geduldig für Fotos mit zwei Kindern. Die Stimme der Mutter klang belegt, als sie ihm „Frohes Fest“ hinterher rief.

Hoeneß hat einen Samstag nach seinem Geschmack erlebt. Von Stuttgart aus machte er sich gleich auf den Weg zur Weihachtsfeier des Fanklubs „Schießamer Red-White Dynamite“, der ihm den erwartet begeisterten Empfang bereitete. Zum Dank stellte er in Aussicht, künftig „auch mal einen größeren Transfer“ zu wagen und dafür „50, 60 oder 70 Millionen“ in die Hand zu nehmen. Das fiele umso leichter, wenn die neureiche, investorengepäppelte Konkurrenz aus Frankreich oder England mit politischen Mitteln gebändigt würde: „Es gibt Überlegungen in Brüssel, dass der Fußball wieder mit der gleichen Waffe spielt.“ Der FC Bayern müsse die Übergangszeit „nur aussitzen“.

Der Präsident weiß, was die Basis hören will. Einmal in Stimmung, ließ er sich dazu hinreißen, ein Thema wieder anzufachen, von dem sein Freund Jupp Heynckes schon lange nichts mehr hören will. Weil die Schießamer Wahlberechtigten einstimmig für eine Vertragsverlängerung mit dem Trainer votierten, will Hoeneß die Botschaft („300 zu null, dass er noch ein Jahr bleiben muss“) zeitnah überbringen: „Dann schauen wir mal, was er nach Weihnachten dazu sagt.“

Eine Woche vor dem Fest menschelt es sehr bei den Bayern. Dazu passend zeigte die Mannschaft in Stuttgart, dass auch sie nicht so unantastbar ist, wie die Tabelle glauben lässt. Die Gäste zeigten einen wohldosierten Vortrag, ließen prächtige Chancen aus, profitierten von einem Thomas-Müller-Moment und überstanden schließlich eine brenzlige Schlussphase mit viel Glück und heiler Haut. Weil aber Schalke 04, das (neben den Leipzigern, die erst gestern spielten) am ehesten noch das Prädikat „Verfolger“ verdient, zeitgleich in Frankfurt Federn ließ, klaffte zwischen den ersten beiden Plätzen plötzlich eine Lücke von elf Punkten.

Bedenkt man, in welch desolatem Zustand sich die Bayern Ende September befanden, mutet dieser Zwischenstand beinahe wundersam an. Es waren ja nicht nur Galavorstellungen dabei, „wo wir auch vier-, fünfnull hätten gewinnen können“, wie Verteidiger Jerome Boateng anmerkte. In einigen Partien strapazierten sie ihr Glück und das Nervenkostüm der Anhänger mehr als die Energiespeicher. Dass die letzten drei Ligaspiele allesamt 1:0 endeten, mag nicht für die spielerische Brillanz der Bayern in der zähen Vorweihnachtszeit sprechen. Aber es waren genau solche ökomischen Auftritte, die Heynckes mit den Worten gefordert hatte, Bayern sollte nicht nur clever, sondern klug agieren.

Zum ersten Mal, seit der Trainer wieder das Sagen hat, lief die Mannschaft bereits im Stadion aus. Der gestrige Sonntag wurde freigegeben. Für Mats Hummels war diese Entscheidung „Gold wert“ und das nicht nur, weil er mit muskulären Beschwerden ausgewechselt worden war und jede freie Stunde braucht, um zum Jahresabschluss gegen Dortmund („Ganz klar das größte Spiel in Deutschland“) am Mittwoch wieder verfügbar zu sein. Der Abwehrchef sprach auch im Namen der Mannschaft, die die freien Tage herbeisehnt: „Wir haben alle ein paar Körner gelassen.“

Das Treffen mit den Westfalen kann eine turbulente, zuweilen frustrierende, am Ende aber berauschende Halbrunde krönen. Es kann aber auch anders kommen, denn auf dem Spiel steht nicht weniger als das erklärte Ziel, in allen drei Wettbewerbe zu überwintern. Da komme „ein neues Dortmund, nicht das der letzten Wochen“, warnte Boateng. Sie sind zwar müde. Aber gleichzeitig hellwach.

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