sven ulreich in topform

Alle gegen die Wand

von Redaktion

München – Die Minuten, die man sich von Sven Ulreich aus dem Hinspiel gemerkt hat: 2., 31. und 63. Drei Tore hatten sich die Bayern bekanntlich im Prinzenpark gefangen, die Bälle flogen dem Bayern-Keeper regelrecht um die Ohren. Das war teilweise auch beim 3:1-Erfolg am Dienstag im Rückspiel so. Und trotzdem bleibt von Ulreichs Auftritt nicht die 50. Minute in Erinnerung, in der Kylian Mbappé zum 2:1 traf. Sondern vielmehr: Die 4., 43., 60., 61., 78. 90.+2 – und auch noch ein paar andere.

Es gab bei diesem Prestigeerfolg zum Abschluss der Gruppenphase einige Männer des Tages. Und weil es in der Natur der Sache liegt, als Offensivspieler noch einen Tick mehr im Fokus zu stehen als andere, wurde viel über Corentin Tolisso, James und Kingsley Coman gesprochen – während Sven Ulreich sich selbst loben musste. „Natürlich freut man sich, wenn man sich auszeichnen und gute Spiele machen kann“, sagte der 29-Jährige. Das hatte er in den vergangenen Monaten immer öfter getan, in diesem Duell mit Paris zeichnete er sich aber gleich sechs Mal in Weltklasse-Manier aus. Mbappé, Neymar, Julian Draxler, Mbappé, Neymar und Mbappé hießen die Pariser Stars in chronologischer Reihenfolge, die allesamt an der Wand namens Ulreich scheiterten.

Das herrlich Sympathische an dem Mann, der immer besser wird, je länger Manuel Neuer ausfällt, ist sein Auftritt nach dem Spiel. Macht er einen Fehler, gibt er ihn zu; spielt er gut, analysiert er trotzdem sachlich. Und egal, was er sagt: Immer steht Ulreich ganz ruhig, besonnen und freundlich vor den Medienvertretern, den Rucksack auf dem Rücken, die Hände in den Hosentaschen. Ganz normal also, während im Hintergrund – am Dienstag Jerome Boateng, sonst auch mal David Alaba – gerne ein stylischer Hipster mit Kapuze auf dem Kopf vorbei schlurft.

Womöglich ist genau diese Bodenständigkeit das, was Ulreich in allen Lebenslagen zugute kommt. Es gab für den Ex-Stuttgarter ja durchaus schlechte Zeiten, sein Wechsel wurde von Zweifeln begleitet, seine Auftritte stets kritisch beäugt. Die Fragen, die er nun Woche für Woche gestellt bekommt, unterscheiden sich nur marginal, genau wie die Antworten: „Spielpraxis ist für Torhüter natürlich enorm wichtig, das ist nochmal anders als bei einem Feldspieler“, sagte er am Dienstag. Deswegen sei er „da reingewachsen“. So, dass er am liebsten gar nicht mehr weg will aus seinem Kasten.

Mit Neuer steht Ulreich in regelmäßigen Austausch, im Training, sagte er, werde er „mit ihm über meine Leistung diskutieren“, wenn bis dahin noch keine Glückwunsch-SMS eingetrudelt ist. Mit mehr als warmen Worten kann Bayerns eigentliche Nummer eins seinem Stellvertreter aktuell aber nicht helfen, ein Trainingspartner ist Neuer nicht. Nach wie vor nämlich geht er an Krücken, ein Comeback-Zeitpunkt steht nicht fest. In einem Urlaub Ende des Jahres soll der Kapitän den Kopf freibekommen für die harte Reha, die bevorsteht. Auch Ulreich wird die Zeit zum Nachdenken nutzen. Er sagt: „Das Gefühl auf dem Feld ist mit nichts zu vergleichen.“

Es ist gut möglich, dass die Bayern die derzeitigen Paraden von Ulreich teuer bezahlen müssen. Nicht mit einer Gehaltsaufbesserung, sondern mit einem Abgang im kommenden Sommer. Stand heute – mit Blick auf die Minuten 4., 43., 60., 61., 78. 90.+2 – wäre das ein herber Verlust.  hlr

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