Ein bisschen Revanche

von Redaktion

Die Bayern sind höchst motiviert – und wollen gegen Paris eine Botschaft an Europa senden

von hanna raif

München – Jupp Heynckes ist offiziell kein Hellseher, aber gestern, am Tag vor dem letzten Champions League-Gruppenspiel gegen Paris St. Germain, konnte er schon voraussehen, was sich an diesem Spieltags-Morgen im Teamhotel ereignen würde. Der 72-Jährige ist ja einer, der bewusst intensiv und häufig das Gespräch mit seinen Spielern sucht, und so wollte er rund zwölf Stunden vor dem Anpfiff heute Abend (20.45 Uhr) noch mal in einige erst kürzlich genesene Profis hineinhorchen. Thomas Müller ist da ein Kandidat, auch David Alaba, genau wie Franck Ribery, bei dem ein Startelf-Einsatz eher noch nicht infrage kommt.

Für ihn spielen soll Landsmann Kingsley Coman, der aber – wie Heynckes gestern verriet – auch wieder leichte Probleme mit einer Sehnenreizung habe. Trotzdem war der Coach sich sicher, was der 21-Jährige ihm auf die Frage antworten werde, ob er bereit sei für einen Einsatz gegen das beste Team seines Heimatlandes. Heynckes gestern: „Er wird sagen: ,Trainer, ich bin topfit und habe keine Beschwerden.‘“

Wahrscheinlich ist es einfach menschlich, dass es Spiele gibt, für die man sich besser motivieren kann als für andere. Und Heynckes hat von Coman in den letzten Wochen auch schon andere Antworten auf die alles entscheidende Nachfrage bekommen. Gegen Augsburg und Anderlecht hatte der unter dem neuen Trainer aufblühende Ribery-Ersatz im letzten Moment einen Rückzieher gemacht – aber alle, die ihn gestern auf dem Podium der Allianz Arena reden hörten, konnten sich wie Heynckes sicher sein: Das wird diesmal nicht der Fall sein. Coman sprach von einer „Revanche“ und forderte von seinen Mitspielern eine „Botschaft an ganz Europa“ zu senden: „Wir müssen zeigen, dass wir solche Spiele gewinnen können und ein Titelanwärter sind.“

Coman ist da mit seiner Meinung sicher nicht alleine, denn auch wenn Heynckes „das Wort Revanche nicht mag“ und dazu aufrief, „realistisch“ zu bleiben: Dieses 0:3 vor exakt 70 Tagen hat bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen. „Im Hinterkopf“ habe man das Debakel noch, das zur Entlassung von Carlo Ancelotti geführt hatte, sagte Coman. Niklas Süle – damals einer der Schlechtesten auf dem Platz – will das heute „ein bisschen gut machen“.

Heynckes hat ja das Glück, entspannt an die Sache herangehen zu können. Denn die Partie in Paris hatte er noch als Ruheständler verfolgt, und vor allem ohne Vorahnung darüber, was am Morgen danach passieren würde. Gegen acht Uhr schon klingelte sein Telefon, ab da versuchte Uli Hoeneß, seinen alten Kumpel von einer Rückkehr zu überzeugen. Heute will Heynckes nicht mehr nach hinten blicken, sprach aber von einer „positiven Atmosphäre im Team, aus der man Kraft, Motivation und Lust“ schöpfe. All das war unter Ancelotti abhanden gekommen.

Den Bayern in der Verfassung von Ende September hätte wohl niemand zugetraut, mit vier Toren Unterschied gegen die Millionen-Truppe aus Paris zu gewinnen. Auch heute würde ein 4:0, 5:1 oder 6:2 an ein Fußball-Wunder grenzen. Aber wer weiß? Müller hofft auf einen guten Start und die „dritte Luft“. Heynckes versprach immerhin, dass den Fans „trotz dieser Temperaturen warm werden wird“. Lösen müsse man die Aufgabe „im Kollektiv“, laut Süle „das Eins-gegen-Eins tunlichst vermeiden“. Immerhin hat der Pariser Sturm um Neymar (6 Tore), Ausnahmetalent Kylian Mbappé (3) und Edinson Cavani (6) in der Königsklasse schon 15 Treffer erzielt. Vor allem den 18 Jahre alten Mbappé lobte Heynckes: „Er ist überwältigend, Extraklasse.“ Trotzdem treffe man „nur auf Menschen“.

Karl-Heinz Rummenigge hat das Wort „Galacticos“ in den vergangenen Tagen überstrapaziert und auch nicht vergessen, stetig darauf hinzuweisen, dass man dem finanzgespritzten Emporkömmling gerne „ein Bein stellen“ würde. Coman bestätigte, „dass das Spiel für uns wichtiger ist als für Paris“, weil es ums Prestige gehe. Sich teuer verkaufen ist das Ziel, das wohl alle unterschreiben würden. Denn ein Vorteil muss es nicht mal sein, Gruppenerster zu werden. Zwar drohen bei der Auslosung am kommenden Montag Hammer-Gegner wie ManCity oder Barcelona. Aber auch Tottenham oder Besiktas Istanbul wären möglich.

Heynckes, der sich trotz des Ausfalls von Arjen Robben nach der Rückkehr von Müller und Ribery auf „mehr Optionen in der Offensive“ freut, blickte – unbewusst – schon ein bisschen voraus. Er wies gerne darauf hin, dass das Spiel „kein entscheidendes“ sei. Im „Februar, März, April, Mai“ müsse sein Team „topfit“ sein. Auch dafür musste Heynckes nicht hellsehen. Der Coach war nur bemüht, alle ein bisschen runterzuholen. Auch Coman.

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