München – Im Laufe des Abends hatten die Temperaturen im Grünwalder Stadion Werte jenseits des Gefrierpunkts erreicht, doch das hielt in der Westkurve wie immer keinen davon ab, nach Hause zu gehen. Zusammen mit der Mannschaft stimmten sich die 1860-Fans nach dem Schlusspfiff auf das Adventssingen an diesem Samstag ein – der einzige Unterschied war, dass noch nicht ganz so besinnliches Liedgut gewählt wurde. „Scha-la-la-la-la“, sang der treue Anhang zur fröhlichen Melodie von Pipi Langstrumpf, und es bestand ja tatsächlich Anlass, diesen Abend heiter und kollektiv hüpfend zu beschließen. Mit einem ungefährdeten 3:0-Sieg über Schalding-Heining hatte sich das Team von Daniel Bierofka den angestauten Frust von der Seele geschossen. „Das war ein super Abschluss“, sagte Torjäger Markus Ziereis: „Jetzt können wir den Urlaub ein bisschen genießen.“ Das turbulente Fußballjahr 2017 endet also versöhnlich. Die Löwen haben ihre Führung an der Spitze der Regionalliga Bayern auf sieben Punkte ausgebaut. Weihnachten kann kommen.
Nach dem unverschuldeten Flutlichtausfall gegen Buchbach zwölf Tage zuvor wollten die Giesinger unter allen Umständen eine weitere Spielabsage verhindern. Der plötzliche Wintereinbruch hätte dieses Vorhaben torpedieren könnten, doch wie heißt es bereits in der Vereinshymne der Löwen? „Die Kameradschaft, die Kameradschaft…“ Die Kameradschaft macht bei einem Verein wie dem TSV 1860 tatsächlich einiges aus. Waren die Ultras nach der Absage gegen Buchbach einfach zum Feiern in ihrer Kurve geblieben, so rückten sie am Freitag bereits Stunden vorher an. Kollektives Schneeschaufeln war angesagt – mit positivem Ergebnis: Mit vereinten Kräften gelang es, die Stehränge vom Eis zu befreien und die Austragung des Jahresabschlussspiels zu retten.
Auf dem Rasen dauerte der Vorgang des Auftauens nicht ganz so lange. Nach verhaltenem Start der Löwen mit einer dicken Chance für die Gäste war das Eis bereits nach sechs Minuten gebrochen. Phillipp Steinhart spielte einen präzisen Diagonalball zu Nicholas Helmbrecht, der leitete direkt weiter zu Ziereis, der keine Mühe hatte, die Kugel volley im Netz der Schaldinger zu versenken.
Es war beeindruckend zu sehen, was dieses frühe 1:0 mit der Körpersprache der 1860-Spieler machte. Die Verunsicherung nach der anhaltenden Ergebnisdelle (sieben Punkte aus sechs Spielen) schien aus Köpfen und Gliedern zu weichen, mit einem Mal sah Löwen-Fußball wieder so federleicht aus wie zu Beginn dieser Saison. Der emsige Christian Köppel nutze den ersten Eckball des Spiels und stellte per Kopf auf 2:0 (28.). Zwölf Minuten später fiel dann ein Bilderbuch-Treffer, der ebenfalls von wiederhergestelltem Selbstvertrauen zeugte: Benjamin Kindsvater spielte blitzartig Doppelpass mit Mölders und ließ mit großer Selbstverständlichkeit das 3:0 folgen. Sein erstes Tor im 1860-Trikot. Die Fans waren zu diesem Zeitpunkt bereits aus den Sitzen gegangen – einerseits wegen der Eiseskälte, andererseits weil sie sich singend dazu aufforderten („Steht auf, wenn Ihr Löwen seid“).
Die zweite Halbzeit begann dann mit Grüßen nach Abu Dhabi: Mit unzähligen Spruchbändern und bekannten Gesängen („Sch… auf den Scheich…“) verwandelte sich die Westkurve in eine beeindruckende Protestzone. Thema war 50+1, wie überdimensionierte Plakate nahelegten – die kollektive Meinung dazu war unten am Zaun zu lesen: „UNVERHANDELBAR“, stand dort. Präsident Robert Reisinger schien die Choreo der Ismaik-Gegner zu gefallen. Er erhob sich von seinem Platz im VIP-Bereich und schoss ein Erinnerungsfoto mit dem Smartphone.
Auf dem Rasen passierte nach dem Seitenwechsel nicht mehr viel. Die Löwen verwalteten ihren Vorsprung, die Gäste aus Passau ergaben sich in ihr Schicksal. „Es war ein absolut verdienter Sieg“, sagte Sechser Aaron Berzel: „Jeder hat noch mal gezeigt, was in uns gesteckt. So kann man gut in die Pause gehen.“ 1860 lebt wieder – auch das ist ja eine Botschaft so kurz vor dem Weihnachtsfest.